500 Wegweisungen für 30 Tage nach Krawallen
Sind die Rayonverbote legal?

500 Personen wurden am Ostersonntag-Abend aus St. Gallen weggewiesen – für ganze 30 Tage. Ist eine solch harte Massnahme rechtlich überhaupt gut abgestützt? Um 11.30 Uhr berichtet auch Blick TV im «Fokus».
Publiziert: 06.04.2021 um 07:01 Uhr
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Aktualisiert: 07.03.2022 um 14:19 Uhr
Beat Michel

Die Polizei forderte die Eltern auf, ihre Kinder am Ostersonntag zu Hause zu behalten. Trotzdem waren schliesslich mehrere Hundert Teenies in St. Gallen unterwegs. Nach den Krawallen am Karfreitag und erneuten Aufrufen zu Gewalt liess die Kantonspolizei nichts anbrennen. Die Ordnungshüter verteilten 500 Wegweisungen. Gebiet: die ganze Stadt St. Gallen. Dauer: 30 Tage. Eingrenzungen: keine. Darf das ein Schweizer Polizeikorps?

Juristisch heikel!

BLICK sprach mit mehreren Jugendlichen, die nichts mit den angedrohten Demonstrationen zu tun haben wollten und trotzdem erfasst und mit einem Bann belegt wurden. Strafrechtsexperte Fabian Teichmann sieht die Massnahme kritisch: «Die Verhältnismässigkeit müsste im Einzelfall beurteilt werden, insbesondere die Fernhaltung für 30 Tage. Dies wäre eher zu verneinen, denn gemäss Polizeigesetz müssen besondere Gründe vorliegen.»

Die beiden Jungs kassierten eine Wegweisung aus der ganzen Stadt St. Gallen für 30 Tage. Sie sagten, dass sie bei Kollegen essen gehen wollten. Mit den Krawallen hätten sie nichts zu tun.
Foto: Blick TV
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Gesamtsituation gibt Polizei recht

Gleichzeitig weist der Anwalt und Notar aber auch darauf hin: «Im Hinblick auf die Ausschreitungen vom Freitag und den Aufruf zu Gewalt stellt sich die Frage, wie glaubwürdig derartige Angaben von Jugendlichen waren und ob zur Beruhigung der Gesamtsituation eine Anordnung, die über die üblichen 24 Stunden hinausgeht, gerechtfertigt ist. Dies ist eher zu bejahen.»

Was ist mit Arbeit und Schule?

Für die betroffenen Jugendlichen ist der Aufenthalt in der ganzen Stadt St. Gallen verboten, Ausnahmen sind auf dem Polizei-Papier nicht vermerkt. Was ist mit Schule oder Arbeit? Immerhin veröffentlichte die Polizei auf Twitter, dass dies erlaubt sei. Rechtsanwalt Teichmann: «Betroffene können sich auf Treu und Glauben berufen. Wenn die Polizei so kommuniziert, kann sie kaum erwarten, dass Weggewiesene nicht zur Schule oder nicht zur Arbeit gehen.»

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Eingrenzung fehlt

Die Polizei hätte aber an dieses Problem denken müssen. Der Rechtsexperte kritisiert: «Grundsätzlich ist eine Wegweisung einzugrenzen. Insbesondere hätte die Polizei festhalten müssen, welche Gebiete von der Wegweisung nicht betroffen sind, um den Jugendlichen die Schule und die Arbeit zu ermöglichen.» Der Grund für die strenge Wegweisung sei vermutlich die aussergewöhnliche Lage, die keine Beurteilung für jeden einzelnen Fall zugelassen hatte.

Keine Aufschiebung

Gegen die Wegweisung kann man sich innert 14 Tagen wehren, nützen tut es nicht viel. Experte Teichmann: «Man müsste schriftlich beim Sicherheits- und Justizdepartement des Kantons St. Gallen Rekurs einlegen. Dieser hat jedoch keine aufschiebende Wirkung. Letztere müsste beantragt werden. Das heisst, die Wegweisung muss vorerst respektiert, aber die Verfügung könnte unter Umständen nachträglich als rechtswidrig qualifiziert werden.»

Bewusst harte Formulierung

Die Polizei steht hinter der strengen Massnahme. Roman Kohler, Sprecher der Stadtpolizei St. Gallen: «Wir haben die Wegweisung bewusst eng geschrieben, damit sich allfällig gewaltbereite Demonstranten nicht auf eine schwammige Formulierung stützen können und so von einer weiteren Reise nach St. Gallen absehen. Wer Zweifel hat, ob er zur Schule darf, kann uns anrufen und fragen.»

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