Editorial von SonntagsBlick-Chefredaktor Gieri Cavelty
Vergesst die Banken!

Wer sich die Berichterstattung über das Ende der CS anschaut, könnte meinen, die Schweiz sei die gleiche wie zur Zeit, als das Bankgeheimnis zu den urhelvetischen Tugenden zählte. Dabei hat sich unser Land als Wirtschaftsnation vom Finanzplatz längst emanzipiert.
Publiziert: 02.04.2023 um 16:20 Uhr
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Aktualisiert: 02.04.2023 um 16:23 Uhr
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Gieri CaveltyKolumnist SonntagsBlick

In der Schweiz ist alles Banken und Schokolade. So schwärmt ein Mafioso in der britischen Filmkomödie «Silber, Banken und Ganoven» aus dem Jahr 1977. Und es stimmte ja auch: In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg hatte die grenzüberschreitende Vermögensverwaltung die Eidgenossenschaft zum drittgrössten Finanzzentrum der Welt aufsteigen lassen. Banken waren gute Steuerzahler und wichtige Arbeitgeber, entsprechend prägten sie Politik wie Image des Landes.

Im Jahr, als der hauptsächlich im Tessin gedrehte Streifen «Silber, Banken und Ganoven» in die Kinos kam, sorgte die Filiale der Schweizerischen Kreditanstalt in Chiasso international für Schlagzeilen. Sie hatte – mit Rückendeckung der Generaldirektion in Zürich – italienischen Kunden über Jahre aktiv bei der Steuerflucht geholfen. Daraufhin lancierte die SP eine Volksinitiative zur Abschaffung des Bankgeheimnisses. Ergebnis: 73 Prozent der Stimmenden erteilten dem Anliegen eine Abfuhr. Die Niederlage für die Sozialdemokraten war derart krachend, dass sie fortan einen grossen Bogen ums Thema Finanzplatz machten.

Die Bankenwelt, mit allem, was damals dazugehörte, prägte nun einmal das helvetische Selbstverständnis. Hans-Rudolf Merz, Finanzminister von 2004 bis 2010, formulierte es wie folgt: «Der Schutz der Privatsphäre durch das Bankgeheimnis ist Teil unseres Wertesystems.»

Gieri Cavelty, Chefredaktor SonntagsBlick.
Foto: Thomas Meier

Ihnen ist, liebe Leserin, lieber Leser, zu viel von Vergangenem die Rede? Das ist genau der Punkt! Wer die Berichterstattung rund um das unrühmliche Ende der Credit Suisse betrachtet, gewinnt unweigerlich den Eindruck, die Schweiz sei nach wie vor die gleiche wie zur Zeit des Bankgeheimnisses. Die «NZZ am Sonntag» schildert den Untergang der CS als «Geschichte eines Landes, das einen Teil seiner Identität verloren hat». Das Schweizer Fernsehen fragt: «Wars das mit dem Erfolgsmodell Schweiz?» Der «Tages-Anzeiger» publiziert einen Leitartikel mit dem Titel: «Die Schweizer Identität wankt», die Westschweizer Zeitung «Le Temps» spricht von einem «Trauma».

In Wahrheit jedoch verspürt die Schweiz heute lediglich einen Phantomschmerz. Auch wenn das viele – gerade in einflussreichen Positionen – nicht bemerkt haben: Hier ist schon längst nicht mehr alles Banken und Schokolade. Die Wirtschaftsnation hat sich vom Finanzplatz emanzipiert. Unser Land ist ein innovativer Forschungs- und weltweit führender Industriestandort. Im aktuellen SonntagsBlick präsentieren wir Ihnen stellvertretend für eine Vielzahl von Branchen eine Handvoll Schweizer Unternehmen, die mit ganz realen Produkten überall auf dem Globus präsent sind. Unsere Auswahl zeigt: Es gibt keinen Grund, dem überholten Bild der Schweiz als Panzerschrank des Planeten nachzutrauern.

Natürlich sind Banken als Kreditgeber für jede Volkswirtschaft unerlässlich. Darüber hinaus wird ihre Bedeutung allerdings überschätzt. In ihrem Buch «Wie kommt der Wert in die Welt?» schreibt die Wirtschaftsprofessorin Mariana Mazzucato vom Londoner University College: Bis in die 1970er-Jahre sahen die Ökonomen im Finanzsektor völlig selbstverständlich einen blossen Verteiler, keinen Produzenten von Wohlstand. Erst seit den 90er-Jahren galten Banker als kreative Superstars, als Magier, die vermeintlich aus dem Nichts Werte schaffen konnten. Nachdem der Bund binnen 15 Jahren bereits zum zweiten Mal ungeheure Mengen von öffentlichen Geldern zur Rettung des Finanzsystems bereitstellen musste, sollten wir auf diesen faulen Zauber eigentlich nicht mehr hereinfallen.

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Eine solche Schärfung der Perspektive geschieht keineswegs zum Selbstzweck, es geht um konkrete Politik. Dass die Schweiz nie Mitglied der Europäischen Gemeinschaft und später der EU wurde, geschah im Wesentlichen aus Rücksicht auf die Banken. Auch heute kommt der vielleicht wirksamste Widerstand gegen ein besseres Einvernehmen mit Europa aus Kreisen, die eine stärkere Überwachung des Finanzsektors durch Brüssel fürchten. Dass Industrie und Forschung der Schweiz unter diesem Abseitsstehen oft zu leiden haben, ist den Finanz-Influencern egal.

Die Schweizer Wirtschaft hat hervorragende Karten. Gewinnen können wir damit aber nur, wenn wir ihren Wert erkennen.

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