Zur Sache! Neue Non-Fiction-Bücher
Was den Teufelswahn gegen «Hexe» Anna Göldi entfacht hat

Anna Göldis Kopf rollte 1782, doch der Fall löst später ganze Lawinen aus: Dem unermüdlichen Einsatz von Walter Hauser verdanken wir neue Einsichten in den Justizskandal.
Publiziert: 06.09.2021 um 18:34 Uhr
Blickgruppe_Portrait_46.JPG
Daniel ArnetRedaktor Gesellschaft / Magazin

«Anna, traurige Berühmtheit.» Mit diesem Satz beginnt der Bestsellerroman «Anna Göldin. Letzte Hexe» von Eveline Hasler (88) aus dem Jahr 1982. Just zum 200. Todestag der wegen Hexerei hingerichteten Dienstmagd veröffentlicht die Glarner Autorin dieses Buch über den «Justizmord» in ihrem Geburtskanton. Sie gibt damit den auf Fakten gestützten historischen Romanen in der Schweiz einen Schub, doch es bleibt letztlich Fiktion.

Um den Wahrheitsgehalt des letzten aktenkundigen Hexenprozesses in Mitteleuropa voll auszuleuchten, bedarf es keiner an Recht interessierten Schriftstellerin, sondern eines schreibbegabten Juristen. Und der tritt 25 Jahre später auf: Walter Hauser (64), Doktor der Rechtswissenschaft und ehemaliger Kantonsrichter in Glarus. Danach war er über Jahre Redaktor des SonntagsBlick.

Der Jurist und Journalist veröffentlicht 2007, zum 225. Todestag, sein Recherchebuch «Der Justizmord an Anna Göldi». Gleichzeitig gründet er die Anna-Göldi-Stiftung, die Menschen- und Grundrechte sowie das Gedenken an Göldi bewahren will – alle paar Jahre vergibt die Stiftung einen Menschenrechtspreis. Wegen Hausers Engagement rehabilitiert der Glarner Landrat 2008 Anna Göldi (1734–1782), und seit 2017 führt die Stiftung das Anna-Göldi-Museum in Glarus-Ennenda.

Walter Hauser vor dem 2017 eröffneten Anna-Göldi-Museum in Glarus-Ennenda.
Foto: Sabine Wunderlin

«Anna Göldi – geliebt, verteufelt, enthauptet» heisst das nun neue Buch von Hauser. Es basiert im Wesentlichen auf dem Bestseller von 2007, enthält aber auch neue Erkenntnisse und Einschätzungen zum Leben der «letzten Hexe»: 1734 in Sennwald SG zur Welt gekommen, wächst sie in ärmlichen Verhältnissen auf, arbeitet als Dienstmagd, 1781 für die vermögende Familie Tschudi in Glarus, wo es zu einem Eklat kommt: Göldi klagt an, wird aber selber bezichtigt, mit dem Teufel zu paktieren. Am 13. Juni 1782 fällt ihr Kopf.

«Beim Hexenprozess gegen Anna Göldi ging es anfänglich nicht um Hexerei und Zauberei, es ging vielmehr um ganz weltliche und durchaus menschliche Vorgänge», schreibt Hauser, «um ‹verbotenen fleischlichen Umgang›, wie ausserehelicher Beischlaf damals hiess.» Das Gerücht: Der Hausherr Tschudi schwängerte die Dienstmagd. Er will das Problem aussitzen, beschliesst dann aber, den Spiess umzudrehen. Im Folterprotokoll steht: «Fr: bist du kantlich, da du in H. Doctor Tschudis am Dienst gestanden dass du Guffen in dessen Milch gethan habest. Antw: Ja, ich bin dessen kantlich.»

Hauser zeigt nun erstmals auf, wie der Exorzist Johann Joseph Gassner (1727–1779) in dieser Zeit der Aufklärung nochmals einen Teufelswahn entfacht, wie ein Whistleblower die Unrechtsprotokolle einem deutschen Journalisten zuträgt, worauf nach der Hinrichtung Göldis ganz Glarus am Pranger steht. Das Ende der Hexenprozesse? «Im Gegenteil», schreibt Hauser, «weltweit nimmt die Zahl der Hexenprozesse zu, in Südostasien und in Afrika werden Frauen wegen Hexerei verfolgt und getötet.»

Walter Hauser, «Anna Göldi – geliebt, verteufelt, enthauptet. Der letzte Hexenprozess und die Entdämonisierung der Frau», Limmat

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?