Zur Sache! Neue Non-Fiction-Bücher
Ernährungsregeln sind Quatsch!

In Ernährungsfragen gibt es kaum allgemeine Regeln, die wissenschaftlich fundiert sind, denn jeder Mensch reagiert anders aufs Essen und Trinken.
Publiziert: 13.09.2022 um 11:00 Uhr
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Aktualisiert: 11.09.2022 um 11:55 Uhr
ausgelesen von Dr. phil. Daniel Arnet

Nein, Spinat mochte ich als Kind auch nicht besonders – zumal er meist als aufgewärmte Pampe aus der Tiefkühltruhe auf den Teller kam. Aber stark sein wie Popeye, das wollte ich schon. Die Comicfigur drückte bekanntlich vor jedem Kraftakt eine Büchse Spinat rein, weil der so viel Eisen hat und stahlharte Muskeln macht. Also rein mit dem grünen Brei! Bis dann 1982 ein Wissenschaftler aufklärte, dass alles ein Kommafehler war: Spinat hat zehnmal weniger Eisen, statt 0,035 Gramm nur 0,0035 Gramm auf 100 Gramm – weit weniger als Leberwurst oder Schokolade.

«Die Wahrheit über unser Essen», heisst das eben erschienene Buch des britischen Autors und King’s-College-Epidemiologen Tim Spector (64), worin natürlich auch die Popeye-Anekdote Erwähnung findet. Aber Spector geht vor allem neuen Ernährungsmythen auf den Grund. Heute stehen weniger Essgebote als -verbote im Vordergrund: Du sollst auf Fett, Fleisch, Salz, Gluten, Alkohol, Kaffee und Zucker verzichten! Aber ist das richtig? Hält das den Körper fit?

Pauschalforderungen erteilt Spector grundsätzlich eine Absage. «Die Annahme, unsere Körper seien identische Maschinen und würden auf Nahrungsmittel auf genau dieselbe Weise reagieren, ist der am weitesten verbreitete und gefährlichste Ernährungsmythos», schreibt er. Diät-Ratgeber mit genauen Anweisungen sind für ihn deshalb Scharlatanerie, aber auch sein Buch kommt nicht als absolute Wahrheit daher, vielmehr relativiert er gängige Denkmuster und zeigt andere Aspekte auf.

Verzicht beim Frühstück oder ganz aufs Frühstück verzichten?
Foto: Getty Images

Und er räumt gleich am Morgentisch auf: «Manche Vorstellungen, die sich um das Frühstück ranken, sind so tief verankert, dass kaum jemand sie hinterfragt.» So der Glaube, es rege den Stoffwechsel an, und wer darauf verzichte, esse tagsüber mehr und werde dick. «Obwohl es für diese Behauptungen keinerlei Belege gibt, werden sie immer wieder als wissenschaftliche Fakten ausgegeben», schreibt Spector. Sein Fazit: «Vielleicht ist das Frühstück ja tatsächlich die wichtigste Mahlzeit des Tages – aber sicher nicht für jeden von uns.»

Aus dieser individuellen Sicht hält er auch nichts davon, Kalorien zu zählen, weil sich der Energieverbrauch von Mensch zu Mensch unterscheide. Er macht dazu einen bildlichen Vergleich: «Stellen Sie sich vor, Sie beabsichtigen, zu einer einwöchigen 250 Kilometer langen Spritztour aufzubrechen, und Ihr Auto besässe – wie Ihr Körper – keine Kraftstoffanzeige.» Man würde von einem Durchschnittswert ausgehen und hoffen, dass das Benzin reicht. Doch viel eher bleibt das Auto auf der Strecke, oder der Tank ist übervoll.

Auf intelligente und fundierte Weise hinterfragt Spector gängige Ernährungsmythen und tritt als besonnener Wissenschaftler auf, der nicht vorgibt, die Weisheit mit Löffeln gegessen zu haben. Aber schliesslich kommt auch er nicht umhin, ein paar Anweisungen zu geben. «Halten Sie sich fern von Ernährungsdogmen und sogenannten Wahrheiten», schreibt er, denn: «Denken Sie daran: Sie sind nicht der Durchschnitt, wenn es um Ernährung geht.»

Tim Spector, «Die Wahrheit über unser Essen. Warum fast alles, was man uns über Ernährung erzählt, falsch ist», Dumont

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