Zoologisch – Direktor Severin Dressen erklärt
Fordernde Jungenbetreuung

Severin Dressen (33) ist Direktor des Zoos Zürich und kennt die wilden Geheimnisse seiner Bewohner.
Publiziert: 15.01.2022 um 13:30 Uhr
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Aktualisiert: 26.01.2022 um 15:42 Uhr
Severin Dressen

Neulich stand ich vor unseren Königspinguinen und beobachtete ein Jungtier. Es war später Nachmittag, und eines seiner Elterntiere – ich denke, es war sein Vater – hielt einen kurzen Nachmittagsschlaf. Leider hatte sein Küken Hunger. Und so bettelte es so lange um Futter, bis das Elternteil aufwachte und das Jungtier mit vorverdautem Fisch fütterte. Diesen würgte das Elterntier in den offenen Schnabel des jungen Pinguins.

Wenn ich das natürliche Verhalten der Pinguine aus meiner eigenen Sicht als Vater betrachte, verspüre ich eine Welle der Sympathie für das übernächtigte Pinguin-Elternteil. So richtig ausgeschlafen habe ich nämlich seit Jahren nicht mehr. Spätestens um sechs Uhr beginnt mein Tag – auch am Wochenende. Wer kleine Kinder hat oder hatte, kennt ihre Gnadenlosigkeit. Ihrer Meinung nach ist die schönste Tageszeit der frühste Morgen. Und ab dann geht es ohne Pause durch bis zum Nachtessen. Auch wenn ich es morgens um sechs manchmal anders sehe: Trotz Schlafmangels geniesse ich diese Zeit sehr. Und vor allem muss ich mir am Wochenende nie Gedanken darüber machen, wie ich meinen Tag fülle. Das tun meine Kinder für mich. Kochen, Füttern, Windeln wechseln, Wäsche und Kinder waschen sind Dinge, die mit schönster Regelmässigkeit über den Tag verteilt auftauchen. Dazwischen wird gebastelt und gespielt, es werden unzählige «Warum?»-Fragen gestellt, und die Wälder werden im Abenteuermodus wahlweise als Piratin, Ritter, Polizist oder Feuerwehrmann erkundet (als Zoodirektor bisher leider nicht). Meine Kinder sind auf eine Art und Weise meine Freizeitbeschäftigung, mein tagfüllendes Hobby.

Ganz ähnlich ist dies bei unseren Tieren im Zoo der Fall. Jungtiere zu haben, ist bei vielen Tierarten eine Ganztagsbeschäftigung. Nichts ist natürlicher und komplexer, als die eigenen Nachkommen grosszuziehen. Es ist die beste Art der Beschäftigung für viele unserer Zootiere.

Ein junger Pinguin bettelt um Nahrung.
Foto: Enzo Franchini
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Dies gilt besonders, da manche anderen Formen der Beschäftigung im Zoo fehlen. So müssen unsere Tiere zum Beispiel kein Futter beschaffen. In der Natur ist das etwas, was viel Zeit einnimmt. Entweder, weil die Tiere mit dem Essen selbst viel Zeit verbringen. Zum Beispiel grasende Tiere wie Kühe. Oder, weil sie viel Zeit und Energie darauf verwenden müssen, das Futter überhaupt zu bekommen. Wie zum Beispiel der Pinguin auf der Fischjagd. Im Zoo probieren wir, die Futtersuche der Natur anzugleichen – indem wir mehrere Fütterungen über den Tag verteilen, oder indem wir die Tiere für ihr Futter «arbeiten» lassen. Ein Beispiel sind da etwa die Futterautomaten bei unseren Grosskatzen. Nur wenn diese sich öffnen, kommen die Tiere an das darin liegende Fleisch. Die Grosskatzen wissen aber nicht, wann wo eine Futterbox aufgeht. So müssen sie immer aufpassen, wo sich was tut – ein bisschen wie bei der Jagd. Aber ganz so anstrengend wie in der Natur ist das noch nicht (wir arbeiten aber dran).

Wenn ich mir also die Königspinguin-Eltern angucke, dann ist die Brutzeit und die Zeit der Jungtieraufzucht jene Zeit im Jahr, in der sie am meisten gefordert und rund um die Uhr beschäftigt sind – selbst, wenn dies mit einem leichten Schlafdefizit einhergeht.

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