Über die Allmacht der Tech-Firmen
Wanzen in unseren Taschen

Martin Vetterli ist Präsident der EPFL in Lausanne und Professor für Informatik. Diese Woche erklärt er, wieso wir uns gegen die Allmacht der Tech-Firmen wehren müssen.
Publiziert: 15.12.2021 um 09:33 Uhr
Martin Vetterli

Am 15. Mai traten die neuen Nutzungsbedingungen für WhatsApp in Kraft. Sie erlauben dem weltweit populärsten Chat-Programm, User-Daten mit dem Mutterkonzern Facebook zu teilen. Der Plan ist, Geld damit zu verdienen.

Die Erneuerungen bei WhatsApp sorgten für reichlich Zündstoff im Netz. Von verschiedenen Seiten wurde darauf hingewiesen, dass Nutzerinnen und Nutzer mit der Zustimmung zu den neuen Richtlinien auf viel Privatsphäre verzichten. Allerdings – und das ist doch etwas erstaunlich – kenne ich nur wenige, die deswegen WhatsApp verlassen haben. Das Problem: Bequemlichkeit. Ein Pop-up-Fenster herunterscrollen und gedankenlos auf den kleinen Button «Zustimmen» tippen ist offensichtlich einfacher, als einen anderen Messenger zu installieren. Hauptsache, wir können weiter chatten. Dass solche Dienstleistungen nur scheinbar kostenlos sind und sich die Big-Tech-Unternehmen mit unseren Daten eine goldene Nase verdienen, verdrängen wir lieber.

Dabei lohnt es sich, den Tech-Riesen genau auf die Finger zu schauen, wie sie mit unseren Daten umgehen. Das bestätigt auch eine kürzlich erschienene Studie einer Gruppe von prominenten Cybersicherheitsforschenden, darunter EPFL-Professorin Carmela Troncoso.
In ihrem Bericht reagieren die Expertinnen und Experten auf die Ankündigung von Apple, eine neue Funktion auf den Markt zu bringen, mit der Foto-Bibliotheken auf iPhones automatisch auf verdächtige Inhalte durchsucht werden können.

Martin Vetterli warnt vor der Allmacht der Tech-Konzerne.
Foto: keystone-sda.ch

Apple rechtfertigt die neue Software mit dem Argument, den Kampf gegen Kindesmissbrauch im Netz verstärken zu wollen. Die Funktion soll ausschliesslich dazu dienen, kinderpornografisches Material (Child-Sexual-Abuse-Material, kurz CSAM) zu entdecken und gegebenenfalls den zuständigen Behörden zu melden.

Das klingt zwar gut gemeint, die Forschenden fürchten aber, dass die Software auch für anderes missbraucht werden könnte. Sie konnten nämlich zeigen, dass sie sich leicht ändern lässt, um nach anderen Inhalten zu suchen. Zum Beispiel politische. Ist die Erkennungsfunktion erst einmal eingerichtet, kann sie von totalitären Staaten einfach
dazu benutzt werden, Aktivisten, Minderheiten oder Andersdenkende auszuspionieren.
Das iPhone wird dann zum Überwachungsgerät.

Mit ihren Befürchtungen sind die Cybersicherheitsforschenden nicht allein. Ihrem Protest schlossen sich auch Journalistenverbände und Datenschutzbeauftragte an. Die weltweite Flut kritischer Beiträge hatte Erfolg. Apple hat die Pläne, die umstrittene Erkennungsfunktion in seine Betriebssysteme zu integrieren, vorerst auf Eis gelegt.

Fazit: Die Macht der Tech-Riesen hängt entscheidend von unserer Bereitschaft ab, mitzuspielen. Vergessen Sie das bitte nicht, wenn Sie das nächste Mal auf den Button «Zustimmen» tippen.

Edward Snowden, ehemaliger CIA-Mitarbeiter und Whistleblower, hat in einem seiner Tweets ein Zukunftsszenarium beschrieben, das es auf jeden Fall zu vermeiden gibt:
eine Menschheit, die zu sehr damit beschäftigt ist, mit ihren Handys zu spielen, um zu merken, dass jemand anders sie kontrolliert.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?