Professor Vetterli über das Coronavirus
Von Darwin zur Delta-Variante

Martin Vetterli ist Präsident der EPFL in Lausanne und Professor für Informatik. Diese Woche erklärt er, warum Viren so anpassungsfähig sind. Und: Wie der Mensch den Wettlauf gegen weitere Corona-Varianten gewinnen kann.
Publiziert: 22.09.2021 um 09:10 Uhr
Martin Vetterli
Martin VetterliPräsident der EPFL Lausanne

1859 stellte der britische Naturforscher Charles Darwin das damalige Weltbild auf den Kopf. Mit seinem Werk «Über die Entstehung der Arten» konnte er als einer der ersten Wissenschaftler zeigen, dass Lebewesen nicht unveränderlich sind, sondern sich fortlaufend weiterentwickeln und nur diejenigen Arten überleben, die sich am besten an ihre Umgebung anpassen.

Darwins Erkenntnisse stützten sich auf Beobachtungen von Pflanzen und Tieren. Viren wurden erst 1892 entdeckt. Damals war Darwin bereits zehn Jahre tot. Schade, die Winzlinge sind nämlich besonders raffinierte Anpassungskünstler und hätten den Vater der Evolutionstheorie sicher fasziniert.

Dass Viren so anpassungsfähig sind, verdanken sie in erster Linie ihrem Vermögen, sich schnell und stark zu vermehren und dabei spontan zu verändern. Hat ein Virus eine Wirtszelle gefunden, zwingt es diese, sein Erbgut zu kopieren, um neue Viren zu produzieren. Bei diesem Prozess schleichen sich regelmässig kleine Fehler ein – Mutationen –, welche die jungen Viren von ihren Eltern leicht unterscheiden. Meistens haben die Mutationen keine erkennbare Wirkung. Manchmal entsteht aber eine Variante, die sich leichter verbreitet oder das Immunsystem des Wirts austrickst. Diese hat gegenüber ihren Geschwistern einen Wettbewerbsvorteil und wird sich früher oder später durchsetzen.

Martin Vetterli ist Präsident der EPFL und Professor für Informatik.
Foto: DR
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Was das heisst, erleben wir momentan in Echtzeit am Fall der Corona-Pandemie. Seit anfangs Jahr tauchen immer wieder neue Virusmutanten auf, die besser angepasst und dadurch aggressiver sind und die alten Varianten verdrängen. Die Delta-Variante hält uns zurzeit besonders in Atem. Das Virus ist an mehreren Stellen mutiert und nun zumindest doppelt so ansteckend wie die Alpha-Variante. Und diese war bereits bedeutend ansteckender als das ursprüngliche Virus. Die Delta-Mutante ist aber auch gefährlicher: Sie verdoppelt das Risiko für eine Spitaleinweisung und macht auch Jüngere deutlich kränker.

Die gute Nachricht: Die derzeitigen Impfstoffe scheinen auch gegen die neuen, aggressiveren Covid-19-Varianten zuverlässig zu schützen. Davon zeugen die Intensivbetten der Schweizer Spitäler, die praktisch ausschliesslich mit Corona-Patientinnen und -Patienten gefüllt sind, die nicht geimpft sind.

Und gleich noch eine gute Nachricht: Impfen hilft auch zu verhindern, dass weitere neue Mutanten entstehen, die womöglich noch gefährlicher sind als Delta. Geimpfte Personen besitzen nämlich ein gut trainiertes Immunsystem, das eindringende Coronaviren unverzüglich kaltstellt. Bei Personen ohne Impfschutz dauert es dagegen mehrere Tage, bis die notwendigen Abwehrmechanismen funktionieren. Diese Periode nutzen die Viren, um sich ungehindert zu vermehren und zu mutieren. Steigt die Zahl der Mutationen, ist es nur eine Frage der Zeit, bis Varianten entstehen, die noch infektiöser sind oder noch ausgeklügelter unser Immunsystem überlisten.

Die Corona-Pandemie ist ein evolutionärer Wettlauf zwischen Virus und Mensch. Impfen verschafft uns einen entscheidenden Vorsprung. Nutzen wir ihn.

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