Trennung: Meyer rät
Warum vermisse ich ihn?

Ich (49, w) habe vor einem Jahr meinen manipulativen Ex verlassen. Es war die Hölle mit ihm – und doch vermisse ich ihn immer wieder. Wie kann das sein?
Publiziert: 09.11.2020 um 11:41 Uhr
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Aktualisiert: 12.11.2020 um 11:42 Uhr

Man sagt, es brauche immer zwei – aber es gibt in der Tat Menschen, die einem das Leben komplett zur Hölle machen können, ohne dass man überhaupt Zeit gehabt hätte, selbst etwas dazu beizutragen. Es beginnt mit spöttischen Vorwürfen, geht über zu manipulativen Verdrehungen und endet bei systematischer Erniedrigung. Leute, die sich so verhalten, sind sogenannte Narzissten. Darunter verstehen wir üblicherweise ein übersteigertes Selbstbild, aber tatsächlich ist genau das Gegenteil der Fall: Narzissten tun bloss so, als fänden sie sich toll – in Wirklichkeit verachten sie sich und können nur existieren, indem sie jemanden haben, an dem sie ihren Selbsthass abreagieren können. Richtig zufrieden sind sie erst, wenn der Mensch an ihrer Seite sein Leben komplett auf sie ausgerichtet hat und es ihm noch schlechter geht als ihnen selbst.

Es sind arme Teufel, die in ihrer Kindheit von anderen armen Teufeln aufs Schwerste misshandelt wurden, seelisch und oft auch körperlich. Und so witzig und klug sie auch sein können, und so sehr man ihnen auch helfen will – auf jemanden, der nicht nett ist, sondern gemein, darf man sich nicht einlassen. Beziehungsweise man muss sich sofort von ihm trennen, so wie Sie es getan haben.

Dass Sie das nun bereuen, dürfte wiederum mit Ihrer eigenen Kindheit zu tun haben. Wo sehen Sie Parallelen? Schreiben Sie alles auf und sprechen Sie es laut aus. Ändern können Sie es nicht mehr – das ist Ihre Prägung. Aber Sie können diese sichtbar und verständlich machen, z.B: «Mein Vater hat mich verhöhnt, und ich habe immer um seine Liebe gekämpft, darum sehne ich mich heute nach diesem Mann, der mich auch nur erniedrigt hat.» Indem Sie sich das radikal bewusst machen, verliert es seine Kraft – und verlagert Ihre Anziehung auf Menschen, die Ihnen guttun.

Thomas Meyer, Schriftsteller
Foto: Thomas Meier
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