Thomas Meyer rät
«Hören Sie auf, ihn wie einen Primarschüler zu behandeln»

Mein 18-jähriger Sohn lehnt mich (w, 48) richtiggehend ab. Dabei möchte ich einfach nur gut mit ihm auskommen. Was kann ich tun?
Publiziert: 31.10.2020 um 14:46 Uhr
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Aktualisiert: 20.11.2020 um 17:01 Uhr

Wenn wir vom Ablösungsprozess sprechen, meinen wir damit unsere Kinder. Dabei sind die Eltern genauso davon betroffen – und es fällt ihnen oft wesentlich schwerer. Vor allem den Müttern, die gern der Idee erliegen, es sei ihre Aufgabe, sich um ihre Kinder zu kümmern, auch wenn denen das nur noch lästig ist, und die Familie zusammenzuhalten, auch wenn die längst aus eigenständigen Individuen besteht.

Dass Ihr Sohn Sie ablehnt, ist nicht gegen Sie gerichtet, sondern gegen Ihr Verhalten. Sie sagen, dass Sie «einfach nur gut auskommen» möchten mit ihm – da liegt wohl der Hund begraben. Was tun Sie genau? Fragen Sie nach Dingen, die Sie nichts angehen? Geben Sie Tipps, die er nicht braucht? Sehen Sie in ihm generell den kleinen süssen Jungen, der er mal war und der sich lästigerweise nicht mehr knuddeln lassen will – oder eine erwachsene, unabhängige Person? Und kann es sein, dass Sie fürchten, ihn für immer zu verlieren, wenn Sie sich nicht ständig um ihn bemühen?

Lassen Sie sich gesagt sein: Ihr Sohn ist immer noch an einer guten Beziehung mit Ihnen interessiert. Das war als Kind so, das ist jetzt so, und das wird immer so sein. Aber er hat mittlerweile eine eigene Vorstellung davon, und die sollten Sie unbedingt respektieren. Also hören Sie auf, ihn wie einen Primarschüler zu behandeln (achten Sie auch auf Ihren Tonfall), und lassen Sie ihn auf Sie zukommen. Das ist auch sein Bedürfnis. Aktuell dürfte er jedoch vor allem daran interessiert sein, einfach nur seine Ruhe zu haben vor dieser bedürftigen Glucke, die ihm ständig hinterherwatschelt. Das ist, was er ablehnt: ihre Rückwärtsgewandtheit. Die Distanz, die er einnimmt, ist eine natürliche, gesunde Reaktion darauf. Freuen Sie sich, dass er so klar und selbstbewusst ist. Alles andere wäre alarmierend.

Thomas Meyer, Schriftsteller.
Foto: Thomas Meier
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