Professor Mesot erklärt
Die Aura des Ortes

Joël Mesot ist Präsident der ETH. Der erste Romand in diesem Amt seit über hundert Jahren. In dieser Kolumne widmet er sich dem Student Project House auf dem Campus.
Publiziert: 29.12.2021 um 11:10 Uhr
Joël Mesot

Orte beeinflussen uns Menschen. Das wusste man schon im Altertum, weshalb die Römer vom «Genius Loci», vom Schutzgeist des Ortes, sprachen. Die Vorlieben für bestimmte Orte sind so unterschiedlich, wie wir Menschen es sind. Wir alle haben unsere Lieblingsorte zum Nachdenken und um Ideen zu entwickeln. Während für die einen der Wald der Kraftort ist, brauchen andere das Brummen der Grossstadt, um Inspiration zu finden. Manche haben ihre kreativsten Einfälle unter der Dusche oder gar auf dem stillen Örtchen.

Ein Ort mit einer speziellen Aura steht seit kurzem unseren Studierenden zur Verfügung: Das Student Project House – kurz SPH – ist allerdings mehr für das gemeinsame Entwickeln und Testen von Ideen und das Experimentieren gedacht als für die innere Einkehr. Angesiedelt ist das auf fünf Geschossen verteilte Projekthaus in einem ehemaligen Fernheizkraftwerk der ETH. Das Projekt war angestossen worden von meinem Vorgänger Lino Guzzella, Ende Oktober konnte Rektorin Sarah Springman das umgebaute SPH unseren Studierenden übergeben.

Der Ort ist gleichzeitig Werkstatt, Denkfabrik und Bühne. Hier können Studierende ihre Ideen ausprobieren, Konzepte entwickeln und Prototypen bauen. Der Gerätepark lässt das Herz jedes Hobby-Bastlers höherschlagen mit Bohrmaschine, Bandsäge, Laser-Cutter und 3D-Printer (24 an der Zahl). Den Studierenden stehen professionelle Coaches zur Seite, die sie in die Bedienung der Werkzeuge einführen oder die auch mal einen Workshop moderieren.

Im Student Project House – kurz SPH – der ETH Zürich können Studenten basteln, tüfteln und forschen.
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Im SPH gibt es keine Kreditpunkte zu holen, die für den Abschluss des Studiums zählen. Es gibt keinen Notendruck und nur wenige Hausregeln. Interessant finde ich die Regel: «Fail forward», scheitere vorwärts. Oder anders gesagt, wachse an Widerständen. Dies scheint mir eine wesentliche Erfahrung, besonders in jungen Jahren. Wir alle kennen die Gefahr, dass uns der Mut für ausgefallene Ideen spätestens dann verlässt, wenn wir sie umsetzen müssten. Man könnte damit auf die Nase fallen und sich blamieren. Das SPH will hier Gegensteuer geben und eine Atmosphäre schaffen, in der (fast) alles möglich ist.

Ein ETH-Studium bietet zwar heute schon viele Möglichkeiten für Praktika und Projektarbeiten. Auch studentische Initiativen wie der Akademische Motorsportverein stellen hervorragende Gelegenheiten dar, Theorie und Praxis zu verbinden. Mit dem SPH ergänzen wir das Angebot für Hands-on-Erfahrungen. Dank eines Pilotprojektes wissen wir bereits, was ein solcher Ort an Ideen freisetzen kann: So arbeitet ein Team von Studierenden an einem intelligenten Blindenstock, der die Umgebung erkennt und eine blinde Person über Sprache und haptische Rückmeldungen sicher an Hindernissen vorbeinavigiert. Gerade revolutionär mutet die Idee einer Doktorandin an, die eine Meditationskabine entwickelt, die sich selber besitzt, verwaltet und vermietet.

Manche Projekte, die im SPH beginnen, münden eines Tages in ein eigenes Unternehmen. Andere Ideen schaffen es höchstens bis zum Prototypen. Doch unabhängig davon, wie weit die Ideen am Ende gedeihen: Das neue Projekthaus ist die ideale Spielwiese, auf der Kopf, Herz und Hand zusammenarbeiten können. Studierende werden davon nur profitieren können.

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