Kolumne «Alles wird gut» über das unaufhörliche Wollen
Der Wunsch nach unerfüllten Wünschen

Zu bekommen, was man will, führt nicht selten ins Unglück.
Publiziert: 09.10.2023 um 19:05 Uhr
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Ursula von ArxJournalistin und Buchautorin

Eigentlich weiss jedes Kind, dass sich offene Wünsche oft grossartiger anfühlen als erfüllte. Dass die Fruchtgummi-Glühwürmchen, für die an der Kasse so lautstark gestampft und geschrien wurde, wenig Befriedigung bereiten. Ist das Verlangen erfüllt, erlischt es. Oder führt zu Bauchweh. Als materiell orientierter Pragmatiker stellt das Kind dennoch erfüllbare Forderungen in Serie, es möchte nicht enttäuscht werden. Und wird es trotzdem.

Inzwischen gibt es zahlreiche Studien, die dem Kind in uns allen helfen können, den Unterschied zu klären zwischen dem «Wollen» und dem «Mögen», zwischen «Verlangen» und «Glück». Forscher der Friedrich-Schiller-Universität Jena zeigten zum Beispiel, dass hartgesottene Kaffeetrinker (drei Tassen und mehr pro Tag) zwar ein signifikant grösseres Kaffeebedürfnis haben als Wenig-Trinker, das Getränk aber ebenso signifikant weniger geniessen als diese. Die Erkenntnis vom Auseinanderdriften von «Wollen» und «Mögen» lässt sich auch auf Alkohol oder andere Drogen übertragen: Du willst die Substanz immer dringender und willst sie immer mehr und magst sie gleichzeitig immer weniger.

Dass erfüllte Begierde nicht notwendig Lust generiert, bestätigt auch die Neurowissenschaft: Dopamin, das sogenannte Glückshormon – vielleicht passender als Wunschhormon bezeichnet –, dieses System ist riesig, stabil und kann leicht getriggert werden. Wohingegen das System für Freude klein und fragil ist. (Was selbst aus evolutionsbiologischer Sicht Sinn machen würde: Spass ist Lockmittel, ist Beilage. Hauptsache Fortpflanzung, Hauptsache, die Art überlebt.)

Brauchen wir wirklich alles, was wir uns wünschen, um glücklich zu sein?
Foto: Getty Images

Vielleicht kennen Sie das auch, diese gefügigen Zustände der Erschöpfung, in denen man nicht müde wird, auf Paradiese zu hoffen, von denen man weiss, dass sie keine sind: Auf Instagram sich endlos Filmchen anschauen (wollen), sich schlecht dabei fühlen (mögen), trotzdem weitermachen (wollen).

Was kann man daraus mitnehmen für den Alltag? Vielleicht dies: Natürlich sollen wir nicht unser Begehren, unsere Leidenschaften und damit unsere Lebendigkeit unterdrücken. (Dazu raten höchstens manche Stoiker.) Aber wie wäre es damit, sich immer mal zurückzulehnen und zu fragen, welche Erfüllung welcher Wünsche uns tatsächlich glücklicher macht? Wollen wir, was wir auch mögen? Noch eine Stunde vor dem Bildschirm? Einen SUV? Ein fünftes Bier? Die zehnte Flugreise in die USA? Die zwanzigste Affäre? Das dreissigste Lifting? Echt jetzt? Alles wird gut.

Ursula von Arx weiss, dass schon Teresa von Avila wusste, dass mehr Tränen vergossen werden über erhörte Gebete, als über nicht erhörte. Von Arx schreibt jeden zweiten Montag im Blick. 

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