Ein Foto, bitte
Die wichtigste Ferienbeschäftigung

Die Kamera ist in den Ferien immer dabei, seit es Smartphones gibt sowieso. Warum fotografieren wir unablässig? Ziemlich sicher geht es um mehr als um Souvenirs.
Publiziert: 18.07.2022 um 06:00 Uhr
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Aktualisiert: 14.08.2022 um 14:21 Uhr
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Ursula von ArxJournalistin und Buchautorin

Endlich dem Covid-Gefängnis entkommen. Endlich Ferien. Ab in die Ferne, ab ins Unbekannte, und meistens reist die Kamera mit. Wo Touristen sind, sind Kameras.

Denn wenn man sich schon den Zumutungen der Fremde aussetzt, will die Tatsache, dass man vor der 139 Meter hohen Cheops-Pyramide stand, beglaubigt sein. Klick, der Beweis ist erbracht. Oder Venedig. Klick. Viele Tauben und Menschen. Es ist sehr heiss. Wir sind so müde. Wir machen Fotos mit letzter Kraft, quasi blind, die Kamera sieht an unserer Stelle. Klick, der Markusplatz, klick, die Tauben. Und auch ein Foto vom Weinglas mit dem teuersten schlechten Wein, den wir je getrunken haben.

Die Bilder erst machen real, was wir erlebt zu haben glauben. Sie sind wirklicher als die Wirklichkeit. Sie dienen uns als Souvenir und als Erinnerungsstütze.

Fotos und Selfies machen wir immer und überall. Die Bilder erst machen real, was wir erlebt zu haben glauben.
Foto: DUKAS

Schau nur, so war dein Leben

Auch die Zuhausegebliebenen halten wir auf dem Laufenden mit Schnappschüssen. Braun gebrannt und breit grinsend halten wir in der linken Hand eine Wassermelone, und mit der rechten zeigen wir auf den im Hintergrund glitzernden Eiffelturm. Die Vorstellung, dass andere uns um unseren Spass beneiden könnten, hat etwas Animierendes.

Deshalb fotografieren wir auch aus Eitelkeit und zum Trost. Wenn wir uns alt fühlen oder dick und traurig, zaubern wir mit den Ferienfotos eine bessere Variante unserer selbst herbei: Schau nur, so jung und blühend und unbeschwert warst du mal! So reich war dein Leben!

Beruhigungsmittel für Touristen

Nähren Fotos also Sentimentalität und Nostalgie? Lassen sie uns zurück- statt vorwärtsschauen? Lassen sie unseren Wirklichkeitssinn verkümmern? Könnte das permanente Fotografieren gar als eine «Form der Verweigerung von Erfahrung» gesehen werden? Diesen Verdacht jedenfalls hegte die 2004 verstorbene amerikanische Essayistin Susan Sontag. Sie sah die Kamera als eine Art Beruhigungsmittel für Touristen, die zu Hause einer «erbarmungslosen Arbeitsethik» unterworfen sind, also für Deutsche, Japaner oder ihre eigenen Landsleute, die Schweizer erwähnte sie nicht explizit.

Die Handhabung einer Kamera dämpfe die innere Unruhe, die ständig unter Stress arbeitende Menschen empfänden, wenn sie nur Ferien machen und sich amüsieren sollten. Aber nun hätten sie etwas zu tun, so Sontag, das sie auf angenehme Weise an Arbeit erinnere: Sie dürfen fotografieren.

Ferien? Alles wird gut.

Ursula von Arx fotografiert selber nie. Aber sie will jedes Foto von sich und ihren Liebsten sehen. Und zwar immer und immer wieder. Von Arx schreibt jeden zweiten Montag im Blick.

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