#aufbruch mit Patrizia Laeri
Warum wir keine Babys mehr haben

Die Geburtenzahlen fallen in den meisten Industrieländern – seit der Pandemie noch stärker als zuvor. Dagegen gäbe es ein einfaches Rezept. Doch das wollen viele nicht wahrhaben.
Publiziert: 17.03.2021 um 06:53 Uhr
Patrizia Laeri

Wir haben in der Pandemie eines gelernt: Das, was in China passiert, wird verzögert auch uns treffen. Und in China haben Frauen seit der Pandemie 15 Prozent weniger Babys geboren. In ganz Südostasien sind viel mehr Menschen kinderlos geblieben. Und dabei schrumpften Südkorea und Japan schon vor der Pandemie. Auch im Westen erreichen uns dramatisch abfallende Baby-Kurven aus Südeuropa, aus Spanien, Italien und Frankreich, aber auch aus den USA und Grossbritannien. Die Daten sind noch verzögert, einzelne Schweizer Spitäler haben aber ebenfalls weniger Babys gemeldet. Der Trend ist global. Die Industrieländer (ver-)schwinden.

Gross ist nun die Betroffenheit, der Alarmismus verständlich. Was macht die Wirtschaft ohne neue Konsumenten, ohne Markt? Was die Wissenschaft und der Fortschritt ohne neue Forscherinnen? Was der Staat ohne neue Steuerzahlerinnen? Was die Älteren ohne pflegende Junge? Keine Kinder, keine Zukunft.

Hektisch wird nun vielerorts versucht, Staatsnachwuchs zu fördern. Südkorea verteilt Prämien pro Kind, lässt die patriarchalischen, familienunfreundlichen Strukturen aber gleich.

Patrizia Laeri, Kolumnistin.
Foto: Thomas Buchwalder

Heuchlerische Familienpolitik

Dieses Entsetzen ist vor allem auch in der Schweiz heuchlerisch. Hätten sich Politiker nur einmal den Fragen gestellt, mit denen Frauen hierzulande konfrontiert sind, wäre das Land nicht auf Schrumpfkurs. Mutter zu werden, bedeutet nämlich laut Studien, all die folgenden Fragen mit Ja zu beantworten:

  • Bin ich bereit dazu, dass mein Gehalt in den nächsten Monaten um bis zu 70 Prozent fällt? Und sich mein Einkommen auch nach 10 Jahren nicht davon erholt?
  • Werde ich auf die eigene Karriere verzichten?
  • Möchte ich in instabilen Verhältnissen Teilzeit oder temporär arbeiten und in Krisen als Erste meinen Job verlieren?
  • Will ich zu 56 Prozent riskieren, mich nicht selber finanziell über Wasser halten zu können?
  • Kann ich in den nächsten 20 Jahren 700'000 Franken für ein Kind zahlen?
  • Riskiere ich, dass ich in den nächsten 20 Jahren oder spätestens als Rentnerin arm sein werde?
  • Riskiere ich mit bedeutender Wahrscheinlichkeit, dass ich allein Kinder grossziehen werde?
  • Will ich 1557 Stunden pro Jahr gratis arbeiten?
  • Möchte ich zusätzlich zu Kindern zwei alternde Elternpaare versorgen?

Wer sagt zu all dem Ja? Sprechen wir endlich Klartext: Rational betrachtet haben nur Verrückte in diesem Land noch Kinder. Oder Reiche. Die «Mutterschaftsstrafe» ist enorm.

Betreuungsinfrastruktur als Knackpunkt

Die meisten Babys gebären in Europa Schwedinnen und Französinnen. Sinnigerweise haben also Frauen, die am meisten arbeiten, auch die meisten Kinder. Genau. Richtig gelesen, denn Schweden und Frankreich bieten unter anderem eine umfassende kostenlose Betreuungsinfrastruktur. Fällt diese jedoch aus – wie in Pandemiezeiten geschehen –, sinken die Geburten sofort drastisch, in Frankreich auf das tiefste Niveau seit dem Zweiten Weltkrieg. Wie viele anschauliche Beispiele benötigen wir noch?

Entweder die Schweiz (ver-)schwindet, oder wir legen familienpolitisch den Turbo ein. Wenn neuerdings sogar der Präsident des Arbeitgeberverbands meint, dass der Staat Kinderkrippen finanzieren soll, dann sollte das parteiübergreifend möglich sein. Fangen wir sofort damit an.

Patrizia Laeri (43) ist Wirtschaftsjournalistin des Jahres und TopVoice LinkedIn DACH. Sie ist Beirätin im Institute for Digital Business der HWZ. Sie schreibt jeden zweiten Mittwoch im BLICK.

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