#aufbruch mit Patrizia Laeri
So teuer ist das Pandemie-Leben wirklich

Wenn man die Teuerung falsch berechnet, haben die Rechenfehler Konsequenzen. Auch auf unsere Löhne. Wird die Teuerung zu tief berechnet, bleiben die Einkommen tief. Vor allem jene der weniger finanzkräftigen Familien.
Publiziert: 20.01.2021 um 07:12 Uhr
|
Aktualisiert: 16.03.2021 um 19:38 Uhr
Patrizia Laeri

Scan, pieps! «Das macht 485 Franken, bitte.» Ich glaubte, mich verhört zu haben. Zugegeben, das Laufband lief lange, die Regale zu Hause waren leer, Nachschub musste her. Ein typischer Grosseinkauf eben. Für eine Grossfamilie. Bei uns zu Hause sitzen immer vier bis sechs Personen am Tisch. Aber 485 Franken für Lebensmittel, ein paar Zahnpasten und Duschgel? Sind die Preise derart gestiegen?

Statistikerinnen des Bundes wollen uns jedenfalls das Gegenteil weismachen. Das Leben sei gar billiger geworden. Um 0,7 Prozent im Pandemie-Jahr. Um die Teuerung respektive die Inflation zu messen, schauen sich Ökonomen einen Warenkorb an. Den Landesindex der Konsumentenpreise. Nur entspricht dieser immer weniger der Lebensrealität der meisten Menschen hierzulande und wird an deren Alltag auch nicht angepasst. Zum Beispiel wenn eine Krise wie Corona unser ganzes Kaufverhalten auf den Kopf stellt.

Am Leben vorbei gemessen

In der Krise haben wir vor allem mehr Grundgüter wie Lebensmittel gekauft. Und genau diese sind im Preis stark gestiegen. Sei es Butter oder Gemüse – zeitweise natürlich auch Klopapier. Billiger wurde, was sich weniger begüterte Menschen oder Menschen im Lockdown sowieso nicht kaufen konnten: Reisen oder Museumsbesuche etwa. Auch der günstigere Sprit hat das Leben nicht wirklich verbilligt, wenn man zu Hause bleiben musste. Das kostspielige Leben einer Durchschnittsbürgerin wird schon länger unterschätzt, aber jetzt besonders.

Foto: Thomas Buchwalder

Die europäische Statistikbehörde Eurostat misst, wie unterschiedlich Menschen und Notenbanker die Preise sehen. Aktuell liegen gefühlte und gemessene Zahlen in den Euro-Ländern um fast sechs Prozentpunkte auseinander. Die Kluft wird immer grösser. Und das ist sogar den Notenbankern nicht mehr ganz geheuer. Die oberste europäische Währungshüterin Christine Lagarde will deshalb die Teuerung neuartig berechnen und die steil steigenden Preise im Immobilienmarkt besser berücksichtigen.

Messungen stossen an Grenzen

Vermögenswerte wie Häuser und Aktien tauchen traditionell in keiner Teuerungsstatistik auf. Wenn aber immer mehr Menschen die Hälfte ihres Verdienstes gleich wieder fürs Wohnen ausgeben müssen, hat das nichts mit Vermögen zu tun, sondern mit Konsum. Mieten und Häuserpreise klettern ungebrochen. Aber sie fliessen nicht gebührend in den Modell-Warenkorb. Allein im Pandemie-Jahr sind Wohnungen deutlich teurer geworden, Einfamilienhäuser gar um 7,1 Prozent. Ökonominnen fordern schon länger, dass Häuserpreise einberechnet werden. Das würde die Teuerungs-Statistiken nach oben korrigieren.

Wenn man die Teuerung falsch berechnet, dehnen sich die Rechenfehler auf das ganze Leben aus. Zum Beispiel auf Sozialversicherungen, Sozialhilfe, aber auch auf unsere Löhne. Die Löhne werden traditionell der Teuerung angepasst. Wird diese zu tief berechnet, bleiben auch die Einkommen tief. Die Kaufkraft sinkt. Vor allem jene der weniger finanzkräftigen Familien. Ihre Warenkörbe haben sich in den letzten Jahren um 4,5 Prozent mehr verteuert als jene der oberen 10 Prozent, zeigt eine Studie der Frankfurter Goethe-Universität. Damit bleibt weniger übrig für Bildung und Aufstiegschancen. Würden Staaten und Notenbanker realistischer berechnen, wie viel teurer das Leben für die Mehrheit der Menschen ist, müssten fairerweise endlich auch die Löhne steigen. Die Schweiz muss die Teuerung endlich volksnaher berechnen. #aufbruch

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?