Frank A. Meyer – die Kolumne
Die Pflicht der Demokraten

Publiziert: 21.08.2022 um 00:57 Uhr
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Frank A. MeyerPublizist

Sein japanischer Übersetzer wurde ermordet; sein italienischer Übersetzer ebenfalls; auf seinen türkischen Übersetzer wurde ein Brandanschlag verübt, er konnte sich retten, aber 37 Menschen starben; sein norwegischer Verleger wurde angeschossen und schwer verletzt.

Wer an der Produktion des Buches «Die satanischen Verse» beteiligt war, schwebt in Lebensgefahr.

Für Islamisten ist Salman Rushdie ein Satan.

Vor wenigen Tagen überlebte der Schriftsteller im US-Staat New York knapp ein Attentat – eine Fatwa, die der iranische Revolutionsführer Ajatollah Ruhollah Chomeini am 14. Februar l989 gegen ihn erlassen hatte.

In den USA wie in Europa zeigte man sich selbstredend empört über diesen späten Versuch, den religiösen Bannfluch Chomeinis zu vollstrecken, wie man sich in westlichen Intellektuellen-Zirkeln schon immer empört zeigte über die islamische Gewohnheit, religionskritische Gedanken mit Gewalt aus der Welt zu schaffen.

Aber hatte Salman Rushdie nicht auch provoziert mit seinen «Satanischen Versen», hatte er nicht religiöse Gefühle verletzt?

Und haben nicht auch die Macher des französischen Satiremagazins «Charlie Hebdo» islamische Gefühle verletzt, als sie Mohammed-Karikaturen abdruckten? War das Massaker im Jahr 2015 mit zwölf Toten nicht die Antwort verletzter Gläubiger auf die unnötige Provokation – eine unverhältnismässige Antwort, gewiss, deshalb empörend, aber eben doch vermeidbar, hätte die Redaktion bloss deren sensible Religion respektiert?

Und der Pädagoge Samuel Paty, dem ein Gläubiger vor knapp zwei Jahren in einem Vorort von Paris den Kopf abschnitt, weil er seinen Schülern Mohammed-Karikaturen zeigte und damit religiöse Gefühle verletzte – hatte sich nicht auch dieser Lehrer irgendwie unbelehrbar erwiesen angesichts all der Attentate, Mordanschläge und Massaker im Namen Allahs?

Die frühere deutsche Familienministerin Kristina Schröder stellt fest: «Die Einschüchterung durch den Terror funktioniert (…) Ich sehe praktisch keine Mohammed-Karikaturen mehr. Und ich verstehe jeden, der davor zurückschreckt.»

All der Schrecken hat natürlich nichts mit dem Islam zu tun, wie Linke und Grüne, die Paten der islamischen Migration, zu beteuern pflegen. Auch dazu ist eine Sentenz der christdemokratischen Politikerin zu zitieren: «Terror ist kein Missbrauch des Islams, sondern eine Interpretation.»
Könnte dies die Lösung des Rätsels sein, weshalb sich in der islamischen Glaubenswelt bisher kein machtvoller Protest gegen das Abschlachten unbotmässiger Ungläubiger erhoben hat? Erkennt die weltweite islamische Gemeinde in den Schreckenstaten unter dem triumphalen Ruf «Allahu akbar» eine gängige Praxis des eigenen Glaubens?

Erkennt sie darin sich selbst?

Und wie stehts mit der Reaktion in den Breitengraden des aufgeklärten Geistes? Also in Kulturen, die Karikaturen von Jesus Christus gelassen zur Kenntnis nehmen, weil Kirchen- und Religionskritik nun mal den Ursprung der Aufklärung bilden – des «Ausgangs des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit», wie Immanuel Kant anno 1784 formulierte?

Nein, es steht nicht besonders gut um die Verteidigungsbereitschaft der Freiheit, um den Einsatz für freies Denken und Reden. Von Mitte-links bis Linksaussen, unter besonderer Mitwirkung der grünen Bewegung, wird Toleranz gepredigt gegenüber dem Islam. Und wer es wagt, darauf zu bestehen, dass diese verspätete Religion unserer offenen Gesellschaft feindlich gegenübersteht, bei dem wird «Islamophobie» diagnostiziert – ein krankhafter Zustand, der dringend ärztlicher Konsultation bedarf.

Wen oder was aber «verletzt» derjenige, der den Islam ätzend kommentiert, ihn gar verwirft? Wer ihm keinen relevanten Platz in der demokratischen Gesellschaft einräumen will? Wer ihn aktiv bekämpft?

Ein solcher Zeitgenosse tut genau das, was des Demokraten Pflicht ist, was während des Kalten Krieges als selbstverständlich galt: Kampf dem Totalitarismus, damals in Gestalt des Kommunismus – einer säkularen Religion mit ihrem Fegefeuer, genannt «Diktatur des Proletariats», mit ihrem Paradies, genannt «klassenlose Gesellschaft». Einer Herrschaftsideologie, die das Ende der Geschichte verhiess und das Ende der Freiheit bedeutete.

Auch der Islam ist eine Herrschaftsideologie, den einzelnen Gläubigen ebenso unterjochend wie die ganze Gesellschaft – ein totalitäres Regelwerk mit Koran, Scharia und Überlieferungen. Im frühen siebten Jahrhundert, als Mohammed seine Lehre begründete, war Ideologie nur mit religiös-spiritueller Überhöhung denkbar. Gegen den spirituellen Islam ist auch gar nichts einzuwenden. Gegen den politischen Islam indessen alles, was Aufklärung, Säkularität, Demokratie und Rechtsstaat, was die Freiheit gegen die Unfreiheit einzuwenden hat.

Hat Salman Rushdie religiöse Gefühle verletzt? Haben die Karikaturen von «Charlie Hebdo» religiöse Gefühle verletzt? Hat der Lehrer Samuel Paty religiöse Gefühle verletzt?

Nein! Sie haben eine Ideologie verletzt. Und ihr die Freiheit entgegengesetzt.

Foto: Antje Berghaeuser
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