Deshalb fand Sisi Montreux toll
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Historiker erklärt:Deshalb fand Sisi Montreux toll

Die Ermordung in Genf durch einen Anarchisten veränderte die Polizeiarbeit
Sisis letzter Atemzug im Hotel Beau Rivage

Sie verzichtete auf polizeilichen Geleitschutz, obwohl die Westschweiz damals als «Anarchisten-Nest» verrufen war. Prompt wird Sisi (1837–1898) auf offener Strasse erstochen. Das hat Folgen für viele.
Publiziert: 12.08.2023 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 18.08.2023 um 09:21 Uhr
Michael van Orsouw

Am 10. September 1898, genau um 13.35 Uhr, verlassen Kaiserin Elisabeth und ihre Hofdame Irma in ziemlicher Eile das Hotel Beau Rivage in Genf. Dort auf dem Quai zwischen Hotel und Schiffsanlegestelle wartet bereits der Anarchist Luigi Lucheni (1873-1910) hinter einem Baum. Plötzlich tritt er mit abgetragener Kleidung und verbeultem Hut hervor, geht auf die Kaiserin zu und sticht ihr mit einer Feile in die Brust. Elisabeth weiss nicht, was vor sich geht und stürzt zitternd zu Boden, der Mann flieht sogleich. 

Hofdame Irma schreit auf. Leute rennen herbei, ein Kutscher hilft der Kaiserin, wieder auf die Beine zu kommen. Auch ein Portier vom nahen Beau Rivage eilt dazu und bittet Ihre Majestät, doch ins Hotel zurückzukehren. Elisabeth sagt bloss: «Warum? Es ist nichts, wir müssen uns beeilen, sonst verpassen wir das Schiff.»

Die Sisi-Serie

Österreichs Kult-Kaiserin Elisabeth (1837–1898) war der Schweiz eng verbunden. Wie eng, zeigt Michael van Orsouw in der grossen Blick-Serie. Der Zuger Historiker, Autor und Aristokratie-Kenner («Blaues Blut», «Luise und Leopold») hat darüber sein neues Buch geschrieben, «Sisis Zuflucht» ist soeben im Verlag Hier und Jetzt erschienen (224 Seiten, gebunden).

Blick-Leserinnen und -Leser erhalten es zum Spezialpreis von 30 (statt 36) Franken. Bestellung mit Rabattcode «Blick-Sisi» an admin@hierundjetzt.ch oder Telefon 043 243 30 73

Michael van Orsouw

Österreichs Kult-Kaiserin Elisabeth (1837–1898) war der Schweiz eng verbunden. Wie eng, zeigt Michael van Orsouw in der grossen Blick-Serie. Der Zuger Historiker, Autor und Aristokratie-Kenner («Blaues Blut», «Luise und Leopold») hat darüber sein neues Buch geschrieben, «Sisis Zuflucht» ist soeben im Verlag Hier und Jetzt erschienen (224 Seiten, gebunden).

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«Ich frage mich, was dieser Mann wollte»

Sisi setzt ihren Hut wieder auf, nimmt Fächer und Schirm an sich, strebt in Richtung Schiffssteg und fragt: «Ich frage mich, was dieser Mann wollte. Vielleicht hat er versucht, meine Uhr zu stehlen.» Dass der Angreifer ihr einen spitzen Gegenstand in die Brust gerammt hat, scheint sie nicht zu realisieren. Zwar verspürt sie leichte Schmerzen, aber durch die ständigen Diäten, die vielen Krankheiten und das Tragen einschnürender Korsette erträgt die Kaiserin körperliche Beschwerden gut. Ihr Gesicht wirkt etwas blass, doch sie erreicht schliesslich das Dampfschiff. 

Illustration von Sisis Ermordung auf dem Quai Mont Blanc in Genf.
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Kurz nach der Abfahrt bricht die Kaiserin auf dem Oberdeck des Schiffs ohnmächtig zusammen. Hofdame Irma beugt sich über sie, fächelt ihr Luft zu und öffnet ihrer Herrin Bluse und Mieder. Da entdeckt sie das Blut, das aus einer winzigen Stichwunde oberhalb der linken Brust tropft. Elisabeth schlägt die Augen auf und richtet sich langsam auf. Ihr vernebelter Blick schweift über das Wasser und in Richtung Himmel, unsicher fragt sie: «Was ist bloss mit mir geschehen?» Das sind ihre letzten Worte. Kurz darauf verliert sie wieder das Bewusstsein.

Der letzte Atemzug um 14.40 Uhr

Irma Sztaray ruft sofort den Schiffskapitän herbei und lüftet die Identität der ohnmächtigen Frau: Das sei die Kaiserin von Österreich! Das Dampfschiff wird sofort zurück zur Anlagestelle in Genf gelotst. Währenddessen stellt die Schiffsmannschaft aus Stühlen, Ruderblättern und Segeltuch notdürftig eine Bahre her, auf die sie den schwer kranken Gast legen. Im Hotel Beau Rivage atmet Sisi um 14.40 Uhr zum letzten Mal: Elisabeth Amalie Eugenie von Wittelsbach, Herzogin in Bayern, Kaiserin von Österreich und Königin von Ungarn, stirbt im Alter von 60 Jahren. 

Attentäter Luigi Lucheni wurde gleich nach der Tat von Passanten gefasst, und er gestand stolz seine Tat. Triumphierend bezeichnet er sich als «Wohltäter der Menschheit», was wohl die meisten Menschen der damaligen Zeit infrage stellen – jedoch nicht alle.

Fanpost für den Attentäter, Jagd auf Anarchisten

Als der Leichenzug durch die Schweiz rollt, sitzt Lucheni im Genfer Gefängnis Saint-Antoine und erhält Fanpost wie diese: «Alle, die für das Wohl der Menschheit kämpfen, bewundern Deine noble Tat. Diese Frau war durch ihre Geburt schon verbrecherisch. Sie hat niemals gearbeitet! Sie wollte nie arbeiten!» Ein anderer Bewunderer schreibt: «Der freigebige Stich, den Du der Repräsentantin der österreichischen Bourgeoisie versetzt hast, hat mir grossen Eindruck gemacht. Natürlich hat er für uns alle in der Schweiz schlimme Repressalien zur Folge gehabt.» 

Tatsächlich reagieren die Amtsstellen der offiziellen Schweiz postwendend. So weisen die Genfer Behörden noch am Tag des Attentats aktive Anarchisten aus. Bis Ende November erhalten weitere 50 Menschen einen Landesverweis.

Die Sensibilisierung durch das Attentat zeitigt weitere Folgen: Vom 24. November bis am 21. Dezember 1898 treffen sich zahlreiche Delegierte aus 21 Staaten in Rom zu einer internationalen Polizeikonferenz. Sie wollen die Bekämpfung des Anarchismus endlich auch über die Landesgrenzen hinweg angehen. Deshalb beschliessen sie ein internationales System zum Austausch von Informationen, ein absolutes Novum in der Polizeigeschichte. Diese Konferenz gilt darum als Ausgangspunkt der internationalen Polizeizusammenarbeit, die 1923 mit Interpol eine feste Organisation bekommen wird.

Der Mörder bittet um seine Enthauptung

An der Konferenz halten die Teilnehmenden fest, dass die anarchistisch motivierte Ermordung von Staatsoberhäuptern mit der Todesstrafe zu ahnden sei. Luigi Lucheni beeindruckt das wenig, im Gegenteil. Er schreibt einen Brief an den Schweizer Bundespräsidenten Eugène Ruffy (1854–1919), darin bittet Lucheni um eine Verlegung nach Luzern, weil er – wirklich wahr! – seine Chancen auf eine Enthauptung dort als höher einschätzt. Der Kanton Genf hat nämlich die Todesstrafe abgeschafft, im Gegensatz zum Kanton Luzern, nach dessen Gesetzen Lucheni deshalb lieber verurteilt werden möchte.

«Ich bitte Eure Exzellenz, nicht etwa anzunehmen, dass mein Gesuch nicht ernst gemeint sei. Im Gegenteil!», betont Lucheni und unterschreibt mit den Worten: «Ihr Ihnen verbundener Luigi Lucheni, Anarchist – und einer der gefährlichsten.»

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