Wieso lieben wir «Meteo»?
Dauerhoch dank Donnerwetter

Von Jesus Christus bis Thomas Bucheli: Die Voraussage von Regen oder Sonne hat eine lange Tradition. Aber warum ziehen meteorologische Prognosen das Publikum derart in den Bann? Der Ausblick auf ein Dauerhoch.
Publiziert: 20.03.2021 um 11:59 Uhr
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Aktualisiert: 20.03.2021 um 18:42 Uhr
Bis 1992 war «Meteo» ein integraler Bestandteil der «Tagesschau». Erst danach wurde die Wetteransage eine eigenständige Sendung.
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Daniel Arnet

Am nächsten Dienstag ist der Welttag der Meteorologie. Dann wird Schnee auf die Erde fallen und die Sonne scheinen; die Temperatur schwankt zwischen minus 37 und 42 Grad plus – denn irgendein Wetter ist immer irgendwo. Oder wie es der deutsche Dichter Ror Wolf (1932–2020) in «Wetterverhältnisse» ausdrückt: «Es schneit, dann fällt der Regen nieder, / dann schneit es, regnet es und schneit, / dann regnet es die ganze Zeit, / es regnet, und dann schneit es wieder.» 'S kommt wie's kommt, also gemach!

Was kümmert uns der angekündigte Schneefall im schwedischen Hammerfest oder die bittere Kälte im kanadischen Arctic Bay? Spannend ist das Wetter erst, wenn es uns um die Ohren bläst – wie letzte Woche der Wintereinbruch in der Schweiz. Und noch gespannter sind wir, wenn wir in Tinizong GR oder Kalpetran VS wohnen und erfahren, dass dort das Wetter übermorgen sonnig und 5 beziehungsweise 11 Grad warm sein wird. Denn Wetterberichte interessieren lokal, nicht global.

Kein Lokalradio, keine Provinzzeitung, keine regionale TV-Station ohne regelmässige Meteonews zur Region. Auch das Schweizer Fernsehen setzt auf den Wetterkarten von «SRF Meteo» seit dem 1. Mai 2010 nicht mehr die Grossstädte, sondern täglich andere Dörfer in Szene. «Wenn auf den Wetterkarten die Ortschaften nicht am richtigen Punkt eingezeichnet sind, sind die Leute sehr sensibel», sagt «SRF Meteo»-Leiter Thomas Bucheli (59).

«SRF Meteo» meistgesehene Sendung nach «Tagesschau»

Die Leute schalten trotz solcher Kritik täglich ein: «SRF Meteo» ist nach der «Tagesschau»-Hauptausgabe die meistgesehene Struktursendung des Schweizer Fernsehens – ein wahrer Quotenknüller. Letztes Jahr verfolgten durchschnittlich 772’000 Menschen die «Meteo»-Hauptausgabe um 19.55 Uhr, den Rekord hält die Ausgabe vom 19. März 2020 mit 1,269 Millionen Zuschauenden. Das ergibt einen sensationellen Marktanteil von 55,4 Prozent übers ganze Jahr gerechnet. In den letzten Jahren liegt er durchschnittlich bei 50 Prozent.

Weshalb dieses andauernde Hoch? «Wir haben bestimmt einen guten Sendeplatz nach der Hauptausgabe der ‹Tagesschau›», sagt Bucheli bescheiden, und fügt dann stolz an: «Doch nicht selten haben wir noch mehr Zuschauer als die ‹Tagesschau›.» Wieso zappen Menschen auf SRF 1, um Sandra Boner (46), Jan Eitel (43) oder Gaudenz Flury (40) auf dem Dach des Fernsehstudios in Zürich-Leutschenbach zu sehen? Was fasziniert daran, anderen beim Sprechen draussen bei Wind, Schnee und Regen zuzuschauen?

Das Wetter allein kann es nicht sein, denn oft würde ein Blick aus dem Fenster reichen, um zu erkennen, was ist oder auf einen zukommt. Und das Fernsehen ist auch nicht der Hauptgrund, denn Wetterprognosen zogen die Menschheit schon vor dem TV-Zeitalter in den Bann. Bereits Jesus Christus betätigte sich als Ur-Meteorologe, wenn er im Neuen Testament sagt: «Des Abends sprecht ihr: Es wird ein schöner Tag werden, denn der Himmel ist rot. Und des Morgens sprecht ihr: Es wird heute ein Unwetter kommen, denn der Himmel ist rot und trübe.»

Orkan Lothar war ein Desaster für «Meteo»

Sonne, Hitze, Regen, Sturm: Seit alters ist der Mensch den Wetterlaunen der Natur ausgesetzt, ohne dass er sie beeinflussen könnte. Umso mehr sind Prognosen wichtig, damit man Vorkehrungen treffen oder die Ernte rechtzeitig einbringen kann. Bauern stellten denn auch gern Regeln aus Beobachtungen sogenannter Lostage früherer Jahre an. «Wie das Wetter am Frühlingsanfang, so ist es den ganzen Sommer lang», heisst es im «Hundertjährigen Kalender» zum gestrigen Tag.

Das ist schön gereimt und in der Prophezeiung etwa so zuverlässig wie die Zürcher Böögg-Verbrennung oder die Muotathaler Wetterschmöcker. Anfänglich lag den Vorhersagen viel Hokuspokus inne, doch schon bald nahmen sich Naturwissenschaftler des Wetters an und versuchten mit physikalischen Beobachtungen und technischen Hilfsmitteln, genauere Prognosen zu machen.

So konstruiert der Italiener Galileo Galilei (1564–1642) 1607 ein Thermometer, der Deutsche Johannes Kepler (1571–1630) schreibt 1611 eine Abhandlung über Schneeflocken, und sein Landsmann Otto von Guericke (1602–1682) erkennt 1660 den Zusammenhang zwischen abfallendem Luftdruck und aufziehenden Unwettern. «Fortan werde ich die Stärke des Windes gemäss folgender Skala schätzen», schreibt der Brite Francis Beaufort (1774–1857) 1806 in sein Tagebuch, worauf später eine nach ihm benannte Windskala beruht.

Mit 12 Beaufort und Böenspitzen von 241 Kilometern pro Stunde auf dem Uetliberg und 249 auf der Jungfrau fegt der Orkan Lothar am 26. Dezember 1999 über die Schweiz hinweg – und hinterlässt eine Schneise der Verwüstung. Ein Desaster auch für die «Meteo»-Redaktion des Schweizer Fernsehens. Denn die Sendung setzte keine Sturmwarnung ab. Thomas Bucheli, der seit 1995 die «Meteo»-Redaktion leitet, erinnert sich: «Wir hatten damals drei Modelle, wie das Wetter kommen könnte, setzten dann aber das Augenmerk nur auf zwei Modelle. Hätten wir das dritte Modell gleichwertig gewichtet, wäre uns aufgefallen: Ups, da ist offenbar etwas im Busch! Im Nachhinein ist man immer schlauer.»

90 Prozent Genauigkeit für Aussichten auf morgen

Über 20 Jahre danach hat man seine Lehren gezogen: Gleich nach Lothar entsteht in Zusammenarbeit mit der Berner Gebäudeversicherung die App Wetteralarm.ch, womit übers Handy rechtzeitig vor solchen Ereignissen gewarnt wird. Und das europäische Zentrum für Mittelfristvorhersage rechnet seit einigen Jahren verschiedene Modelle 30-mal in die Zukunft – nach hinten driften die Prognosen so auseinander und zeigen alle Möglichkeiten auf. «Lothar führte bei allen Wetterdiensten zu neuen Anstrengungen, Technologien und Methoden», sagt Bucheli, der an der ETH Zürich Meteorologie, Klimatologie und Atmosphärenphysik studierte.

Die Technologie und die damit verbundenen Daten haben in den letzten Jahrzehnten eine unglaubliche Entwicklung gemacht. «Durch Satelliten haben wir viel mehr Informationen, die natürlich auch die Prognosen verbessern», sagt Bucheli. «Für den morgigen Tag liegen wir heute bei einer Genauigkeit von 90 Prozent.» Und für den vierten Tag habe man jetzt die gleiche Prognosequalität, die man vor 30 Jahren noch für den nächsten Tag hatte. Doch das Ziel sei nicht eine zeitliche Ausdehnung über mehrere Tage, sondern eine räumlich engmaschigere Prognose.

«Als ich anfing, berechnete man das Wetter weltweit nur für Punkte, die 200 Kilometer Abstand voneinander hatten», sagt Bucheli. Die Schweiz hatte so einen, maximal zwei solche Berechnungspunkte. «Heute haben wir eine Auflösung von ein mal einem Kilometer.» Auch wenn die Bildung von Gewitterzellen immer noch durch diese Maschen falle («Das ist ein Ziel, Gewitterentwicklungen über ein, zwei Tage hinaus voraussagen zu können»), seien die Modelle in der Lage, Lokalprognosen zu erstellen – zum Beispiel für Tinizong oder Kalpetran.

Hagelkörner «in der Grösse von Dosenschinken»

Doch wie berichtet man übers Wetter im Wallis, ohne die Zuschauenden in Graubünden zu langweilen? «Wir SRF-Meteorologen haben zwei Herausforderungen: eine fachliche und eine mediale», sagt Bucheli und formuliert Fragen, denen sich das 15-köpfige «Meteo»-Team täglich stellen muss: «Zum Beispiel: Wie kann ich das komplizierte Schweizer Wetter mit all seinen regionalen Eigenheiten dem Publikum verständlich erklären? Wie hole ich die Leute ab? Wie kann ich mein grosses Fachwissen am besten vermitteln und es auf den Punkt bringen?»

Auf den Punkt bringen es viele, manche treiben es auf die Spitze – Wettersendungen machten weltweit einige Ansager berühmt. So geht der Schweizer Jörg Kachelmann (62) als der «Blumenkohlwolken»-Erfinder in die Annalen ein, die Mexikanerin Yanet García (30) holt sich wegen ihrer freizügigen Präsentation den Titel als «heisseste Wetterfee der Welt», und US-Talkshowmaster David Letterman (73) übt seinen Humor bereits in den 1970er-Jahren als Wettermoderator, indem er Schneefall für fiktive Städte voraussagt, einem Tropensturm fürs Upgrade zum Hurrikan gratuliert oder Hagelkörner «in der Grösse von Dosenschinken» prognostiziert.

Eine Prognose, die Nicole Glaus (31) heute Abend auf dem «Meteo»-Dach sicher nicht machen wird – in der notabene 10’430. Hauptausgabe, seit die Wetter-Sendung am 31. August 1992 ein eigenes Gefäss bekam. Doch selbst wenn es keine Dosenschinken hagelt, möge auch der Wettertraum nicht Wirklichkeit werden, den Glaus auf der SRF-Website zum Besten gibt: «Einmal in meinem Leben auf einen Schlag zwei Meter Schnee vor der Haustüre. Im Flachland. Im Sommer.» Oder dann soll sie uns in der «SRF Meteo»-Sendung rechtzeitig davor warnen.

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