Eingesammelt auf der Strasse
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Eingesammelt auf der Strasse:Ukrainische Männer werden zwangsrekrutiert

Selenski fehlen immer mehr Soldaten
Ukrainer zahlen Geld, um nicht an die Front zu müssen

Der Krieg in der Ukraine fordert täglich Opfer. Kampfbereite Soldaten fehlen – deshalb müssen auch Männer zur Waffe greifen, die keine Erfahrung haben. Aus diesem Grund versuchen viele, sich dem Dienst zu entziehen. Mit Geld oder der Flucht.
Publiziert: 25.03.2023 um 19:18 Uhr
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Jenny WagnerRedaktorin News

Der patriotische Eifer in der Ukraine war gross: Tausende Männer meldeten sich freiwillig und standen vor den Rekrutierungsbüros Schlange, als Russland am 24. Februar 2022 das Land angriff. Doch heute sieht es anders aus. Viele Soldaten sind verletzt oder tot. Die Folge: Der Ukraine fehlen die Kämpfer an der Front. Jetzt werden Männer mobilisiert, die weder Erfahrung haben noch kämpfen wollen. Viele versuchen, dem Militärdienst zu entgehen, schreibt das «Wall Street Journal».

Zwar steht ein Grossteil der Ukrainer weiterhin hinter der Verteidigung des Landes, doch es gibt nicht mehr genug Freiwillige. Dass Männer den Militärdienst verweigern, sei ein ernstes Problem, sagte der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski (45) im Februar. Gleichzeitig liess er die Strafen für Desertion und Ungehorsam in der Armee verschärfen. Das sorgte für Unmut. Viele Ukrainer unterschrieben laut «Politico» eine Petition. «Der Schlüssel zum Sieg der Ukraine ist die Einhaltung militärischer Disziplin», erwiderte Selenski. Doch im Volk machte sich eine Kriegsmüdigkeit breit.

«Verwandle deine Wut in Feuerkraft», heisst es auf Plakaten, die für den Wehrdienst werben. Doch das nützt offenbar wenig. Deshalb setzt die Regierung nun zunehmend auf Militärbeamte, die Vorladungen in der Öffentlichkeit verteilen. Es häufen sich die Beschwerden über unangemessene und gewaltvolle Mobilisierungen auf offener Strasse. Videos in den sozialen Netzwerken zeigen brutale Verhaftungen von Männern, die ihren Marschbefehl ignorierten. Auch gibt es Berichte, dass kampfunfähige Männer rekrutiert wurden. In der Westukraine soll ein Mann ohne Hände für diensttauglich erklärt und einberufen worden sein.

Als Russland die Ukraine am 24. Februar angriff, meldeten sich Tausende Freiwillige, die das Land verteidigen wollten.
Foto: Getty Images
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Kiew streitet Vorwürfe ab

Der konservative ungarische Sender «HirTV» schreibt: «Es werden wahllos Männer zwischen 18 und 60 mitgenommen. Familienstand, Geistes- oder Gesundheitszustand werden nicht berücksichtigt.» Ethnische Ungarn machen 12,5 Prozent der ukrainischen Bevölkerung aus. Auch sie werden für den Militärdienst einberufen – unabhängig von ihrer politischen Einstellung.

Kiew streitet solche Berichte ab. «Die Propaganda des Kremls verbreitet weiterhin Fälschungen und Mythen», erklärte die stellvertretende Verteidigungsministerin der Ukraine Hanna Malyar (44) auf Telegram.

Die Ausbildung der Soldaten wurde wegen des Krieges verkürzt. Das «Wall Street Journal» befragte Soldaten an der Front, wie lange sie trainiert hatten. Einige von ihnen wurden nur wenige Tage ausgebildet und dann direkt in den Donbas entsandt. Andere hatten eine mehrwöchige Vorbereitung für den Dienst.

Wehrpflichtige meiden öffentliche Plätze

Fest steht: Nicht jeder will kämpfen. Doch Männern im wehrpflichtigen Alter ist es verboten, die Ukraine zu verlassen. Ein Mann (37) aus Kiew zahlte nach Russlands Angriff 10'000 US-Dollar für verschiedene Dokumente, die helfen sollten, das Land zu verlassen. Erst kürzlich gelang dem Kiewer als vermeintlich «freiwilliger Helfer» die Flucht nach Polen. «Zum ersten Mal seit einem Jahr fühlte ich mich frei und hatte das Gefühl, dass mein Leben wieder mir gehörte», sagte er zur «WSJ».

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Ein Mann aus Dnipropetrowsk ignorierte fünf Vorladungen. Er hat drei Kinder, um die er sich kümmern muss, und leidet unter gesundheitlichen Problemen. Ein junger Kiewer meidet öffentliche Orte wie Cafés und Restaurants. Er befürchtet, dort von den Militärbeamten rekrutiert zu werden.

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