So krass war die Explosion in Beirut
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Ein Jahr danach:So krass war die Explosion in Beirut

Schweizer Ingenieursbüro warnt vor Einsturz der Silo-Ruine in Beirut
Mahnmal der Schande muss weg

Abreissen oder stehen lassen? Um die Silo-Ruinen in Beirut ist nach der Explosion vor einem Jahr ein Streit entbrannt. «Mister Silo» von der Genfer Firma Amann Engineering hat die Statik untersucht und warnt: Der Nordblock könnte schon in wenigen Wochen einstürzen.
Publiziert: 05.08.2021 um 00:40 Uhr
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Aktualisiert: 05.08.2021 um 07:58 Uhr
Guido Felder

215 Tote, 6500 Verletzte, 300'000 verloren Haus oder Wohnung. Die gigantische Explosion im Hafen von Beirut erschüttert den Libanon bis heute. Wie ein Mahnmal stehen die Ruinen der beiden Silos, in denen die 2750 Tonnen Ammoniumnitrat lagerten, noch immer im zerstörten Gebiet. Auch an anderen Orten am Hafen bietet sich das gleiche Bild: viele Trümmer, ein gekentertes Schiff, das weiter im Wasser auf der Seite liegt. Als ob die Explosion erst gestern passiert wäre.

Die Libanesen tun sich schwer mit den Aufräumarbeiten. Wer soll es tun? Es fehlt an Geld, zudem hat man bisher noch keine Verantwortlichen für die Katastrophe benannt. Für viele Libanesen ist es die korrupte Elite, die regiert und in die eigene Tasche wirtschaftet. Am Abend ging die Bevölkerung in Beirut auch deswegen auf die Strasse: Die Explosion lässt auch die Wut explodieren!

Auch um die Silo-Ruinen ist ein Streit entbrannt: Die einen möchten den Schandfleck möglichst schnell abreissen, die andern wollen ihn als Mahnmal stehen lassen. Doch wie stabil sind die beiden rund 50 Jahre alten und 48 Meter hohen Silos überhaupt noch?

Emmanuel Durand vor dem Silo in Beirut: Er warnt vor Einsturzgefahr.
Foto: Zvg
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Schon 45 Zentimeter geneigt

Ingenieur Emmanuel Durand (52) von der Genfer Firma Amann Engineering hat die Statik im vergangenen Jahr mit Laser-Scannern überprüft und misst auch jetzt vor Ort mit Hochpräzisionsgeräten laufend die Bewegung der Silos. Am Telefon sagt der Franzose zu Blick: «Der Nordblock neigt sich fast hundert Mal schneller, als es der Schiefe Turm von Pisa tat, bevor er stabilisiert wurde!»

Die Neigung des italienischen Wahrzeichens betrug bis zum Jahr 2001 fünf Millimeter pro Jahr. Der Nordblock in Richtung des 43 Meter tiefen Kraters hat sich allein seit der Explosion um 45 Zentimeter geneigt.

Der Südblock hingegen, der ein Jahr nach dem Nordblock erstellt worden war, sei zwar beschädigt, stehe aber stabil.

«Mister Silo» arbeitet gratis

Durand war nach der Explosion nach Beirut gereist, um als Experte in Freiwilligenarbeit die Statik von beschädigten Gebäuden zu untersuchen. Rasch wurde man auf ihn aufmerksam, weil er sich auch mit Silos bestens auskennt. Früher hatte er für den Rapperswiler Baustoffgiganten Holcim Silos auf der ganzen Welt untersucht und wurde daher «Mister Silo» genannt.

Seit Anfang Juli weilt Durand erneut im Libanon, wo er sich weiterhin in Gratisarbeit um die Silos kümmert. Dieses Mal hat er in Zusammenarbeit mit der ETH sowie weiteren Firmen an den Ruinen Sensoren angebracht, um ein Alarmsystem zu schaffen. «Es funktioniert wie in einem Erdrutschgebiet. Man kann einige Tage im Voraus erkennen, wenn Einsturzgefahr droht», sagt Durand.

Nordblock schnell abreissen

Wie lange der Nordblock noch stehen bleibt, kann er nicht sagen. Die Bewegung sei unberechenbar, da die Silos auf 4000 Pfählen stünden, die teilweise ebenfalls beschädigt wurden. Es könnte schnell gehen.

Für den Experten ist daher klar, dass der Nordblock aus Sicherheitsgründen möglichst schnell abgerissen werden muss. Und der Südblock? Durand nimmt ein Beispiel aus der Medizin: «Wenn man das rechte Bein amputieren muss, muss man dann auch das linke, überlebensfähige Bein entfernen?»

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Libanesen müssen entscheiden

Doch masst er sich nicht an, den lokalen Behörden dreinzureden. Durand: «Ich messe nur und informiere über technische, präzise Fakten. Die Entscheidung darüber, was mit den Silos geschehen soll, liegt bei den Libanesen, die sich auf meine Empfehlung verlassen können.»

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