«Ich flog durch den Raum und landete in Glassplittern»
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Verletzter Schweizer in Beirut:«Ich flog durch den Raum und landete in Glassplittern»

Schweizer erlebten Mega-Explosion in Beirut
«Ich flog durch den Raum und landete in Glassplittern»

Bei der Explosion in der libanesischen Hauptstadt am Dienstag wurden auch Schweizer verletzt. Drei Menschen vor Ort erzählen, was sie erlebt haben.
Publiziert: 09.08.2020 um 21:38 Uhr
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Aktualisiert: 16.08.2020 um 01:49 Uhr
Camille Kündig

Vier Tage nach der verheerenden Explosionskatastrophe im Hafen von Beirut wurden am Samstag viele der mehr als 150 Opfer beigesetzt.

Bei der gewaltigen Detonation am vergangenen Dienstag hatten über 5000 Personen in der gesamten Innenstadt Verletzungen erlitten. Nach Behördenangaben waren 2750 Tonnen Ammonium­nitrat ex­plodiert, die jahrelang ohne besondere Sicherheitsvorkehrungen in einer Halle am Hafen gelagert waren. Die Druckwelle zerstörte grosse Teile des Hafens, ganze Strassenzüge im Zentrum der libanesischen Hauptstadt wurden in Scherben und Trümmer gelegt. Leicht verletzt wurde dabei auch die Schweizer Botschafterin Monika Schmutz Kirgöz. Mindestens ein weiterer Schweizer Bürger ist ebenfalls unter den Verletzten, wie der SonntagsBlick weiss.

Daniel Dufaux (71) lebt seit ­Februar in Beirut, in einem Quartier unweit des Hafens: «Ich ­bereitete gerade das Abend­essen vor. Träufelte Öl in eine Pfanne, zündete das Gas an – und plötzlich ein ohrenbetäubender Knall!», erzählt der Schweizer Rentner, dessen Frau beruflich in der Hauptstadt zu tun hat: «Die Fenster zersplitterten und ich flog durch die Küche ­direkt in ein Meer von Glassplittern.» Sein erster Gedanke sei gewesen: «Was habe ich gemacht? Warum ist die Gasflasche explodiert?» Dufaux blutete aus Schnittwunden an den Beinen, die Räume um ihn herum lagen in Trümmern. «Dann schaute ich hinaus, sah den grossen Rauchpilz und hörte grosses Geschrei. Ich ging von einem Anschlag aus.»

Vier Tage nach der verheerenden Explosion in Beirut sind am Samstag viele Opfer der Katastrophe beerdigt worden.
Foto: keystone-sda.ch
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Schweizer helfen bei Wiederaufbau

Dufaux und seine Ehefrau blieben zunächst in der Wohnung, ­gingen später zu einem Arzt ausserhalb der Stadt, um die Spitäler nicht zusätzlich zu belasten. Zum Zeitpunkt der Explosion befand sich Beirut bereits zum zweiten Mal im Corona-Lockdown, die Krankenhäuser waren überfüllt und nun teilweise auch noch durch die Druckwelle verwüstet. Der Pensionär und seine Ehefrau leben weiter in ihrer stark beschädigten Wohnung. «Zum Glück wurde wenigstens das Schlafzimmer verschont.»

Wie Dufaux wohnen gemäss ­Angaben des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten aktuell rund 1500 Schweizer im Libanon. Frederic Wiesenbach (33) ist seit drei Jahren für die Caritas Schweiz in der Hauptstadt tätig. Er begleitet nun mit lokalen Partnern die humanitäre Soforthilfe und Hilfsprojekte für den Wiederaufbau. Bei der grossen Explosion sass er gerade im Auto, auf dem Weg nach Hause: «Ich hörte einen dumpfen Knall und habe sofort meine Familie, Freunde und Arbeitskollegen angerufen, um zu fragen, ob es ihnen gut gehe. Später am Abend liess ich mich in einem Spital zur Blutentnahme registrieren.» Das Büro der Caritas wurde nur leicht beschädigt; Fenster zersplitterten, Türen flogen aus dem Rahmen.

Hilfsorganisationen wie die ­Caritas seien nun doppelt ­gefordert, sagt Wiesenbach. Der Libanon steckt in der schwersten Wirtschafts- und Währungskrise seit Jahrzehnten. Die Corona-Pandemie hatte die Lage in den vergangenen Mo­naten noch verschärft. Und nun treibe die Kata­strophe die Libanesen noch tiefer ins Elend: «Die wirtschaftliche Lage des Landes ist ­desaströs. Die Preise stiegen seit letztem Herbst exorbitant, die Währung verliert stetig an Wert. Wir verteilen nun mit lokalen Partnern warme Gerichte und Wasser – die Nachfrage ist gross.» Um ­angemessen auf die Situation reagieren zu können, sei die ­Caritas dringend auf Spenden ­angewiesen.
Die Libanesin Malak Chour (23) lebt sieben Kilometer vom Hafen entfernt, berichtet aber: «Die ­Explosion war so laut, dass wir dachten, alles geschehe direkt ­neben unserem Wohnhaus. Als die Druckwelle kam, musste ich mich an Wand und Möbeln festkrallen, um nicht hinzufallen.»

Grosse Solidarität unter jungen Menschen

Bei der Detonation verloren rund 250'000 Menschen ihr Zuhause. Viele Stadtteile sind zerstört. Die Stimmung vor Ort sei niederschmetternd: «Wir haben das Gefühl, Beirut verloren zu ­haben. Es bricht mir das Herz.» ­Momentan wohnt sie bei einer ­Kollegin, ihr Apartment hat sie ­Unbekannten zur Verfügung gestellt, deren Haus in Trümmern liegt.

Und wie viele andere junge Menschen hilft sie seit Dienstag frei­willig mit Besen und Schaufel, die Strassen Beiruts von Schutt und Trümmern zu befreien. Solida­risches Handeln ist für sie selbstverständlich: «Wir wissen, dass wir nicht auf die Regierung zählen ­können und helfen uns untereinander. Das war immer schon so, auch in den letzten Monaten während der Corona-Krise.»

Niemand in der Regierung wolle Verantwortung für das Geschehene übernehmen. Deshalb trug Malak Chour ihre Wut gestern auf die Strasse: «Wir alle fordern, dass die Verantwortlichen ihre gerechte Strafe erhalten!»

Beirut

In der libanesischen Hauptstadt ist es am Dienstag zu einer gewaltigen Explosion gekommen. Die Druckwelle richtete massive Zerstörungen an. Alle aktuellen Informationen und Zahlen gibt es im News-Ticker.

In der libanesischen Hauptstadt ist es am Dienstag zu einer gewaltigen Explosion gekommen. Die Druckwelle richtete massive Zerstörungen an. Alle aktuellen Informationen und Zahlen gibt es im News-Ticker.

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