Schweizer Flüchtlingsretter verzweifelt auf der Ocean Viking mit 180 Geflüchteten
«Mehrere Menschen sind über Bord gesprungen!»

Noch immer wird privaten Seenotrettern die Einfahrt in sichere Häfen verweigert. Aktuell trifft das europäische Behördenchaos die Ocean Viking. Eine Sprecherin beschreibt die Lage als dramatisch.
Publiziert: 04.07.2020 um 20:58 Uhr
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Aktualisiert: 07.07.2020 um 10:40 Uhr
Fabienne Kinzelmann

Ein Rettungsschiff mit 180 Verzweifelten. Bei sengender Hitze harren sie auf dem Deck der Ocean Viking aus – mehr als die Hälfte von ihnen seit mehr als einer Woche.

An Bord ist auch der Schweizer Basile. Der 31-Jährige aus Genf leitet das Such- und Rettungsteam auf dem Schiff der Hilfsorganisation SOS Méditerranée. Und ist am Ende seiner Kräfte. Mehrfach muss er ein Interview mit SonntagsBlick verschieben, am Ende schafft er es nicht. Er sei zu beschäftigt, lässt die NGO mitteilen.

«Mehrere Menschen haben versucht, über Bord zu springen», beschreibt Eva Ostendarp (29), Sprecherin der Hilfsorganisation in der Schweiz, die dramatische Situation auf der Ocean Viking, die seit zwölf Tagen zwischen Italien und Malta kreuzt. Am Donnerstag und Freitag versuchten sechs Menschen, sich umzubringen – zwei sprangen über Bord, einer probierte, sich zu erhängen. «Wir brauchen umgehend einen sicheren Ort, an dem die Menschen an Land gehen können!»

Viele der Geflüchteten an Bord der Ocean Viking warten seit mehr als einer Woche auf einen sicheren Hafen.
Foto: Flavio Gasperini/SOS Mediterranee
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Behörden verweigern Seenotrettern einen sicheren Hafen

Sieben Anfragen hat die Ocean Viking die letzten Tage bei den zuständigen Rettungsleitstellen gestellt. Nur auf zwei bekam sie überhaupt eine Antwort – negativ. Die Behörden weigern sich, dem Rettungsschiff einen sicheren Hafen zuzuweisen.

Es klingt wie eine Wiederholung des Dramas um die Sea-Watch 3. Nach einer knapp dreiwöchigen Irrfahrt fuhr Kapitänin Carola Rackete (32) am 29. Juni 2019 trotz Verbot mit 40 Geflüchteten an Bord in den Hafen von Lampedusa ein. Ihre Aktion warf ein Schlaglicht auf das Versagen der europäischen Seenotrettung.

Ein Jahr später hat sich wenig geändert. Italiens damaliger Innenminister Matteo Salvini (47) und sein «Sicherheitsdekret», das private Seenotretter durch drastische Strafen abschrecken wollte, sind Geschichte – doch eine gemeinsame europäische Lösung ist weit entfernt. In der Schweiz sind zwei Motionen, um das Sterben im Mittelmeer zu stoppen und sich an einer «Koalition der Willigen» zu beteiligen, zur Ablehnung empfohlen.

Seenotretter mussten Corona-Schutzkonzept entwickeln

Nach dem Lockdown stechen die privaten Seenotretter seit einigen Wochen wieder in See – unter erschwerten Bedingungen. Die 22-köpfige Besatzung der Ocean Viking begab sich vor Missionsbeginn für 14 Tage in strikte Quarantäne.

Auf dem ehemaligen Offshoreversorger gilt ein komplexes Schutzkonzept. Das Betreten und Verlassen der Unterkunft ist geregelt, Mahlzeiten gibts im Schichtsystem, für jede Tätigkeit gibt es jetzt Hygieneverfahren und Protokolle. Täglich werden bei den Geretteten Fieber gemessen und Symptome kontrolliert.

«Eine Isolierung an Bord der Ocean Viking ist für jeden möglich, der Anzeichen und Symptome von Covid-19 aufweist, und dies war bei einer Person an Bord direkt nach der Rettung der Fall», erklärt Sprecherin Eva Ostendarp. «Unser medizinisches Team ist dafür qualifiziert, die notwendige Versorgung der Kranken unter Anwendung strenger Quarantäneverfahren zu gewährleisten.»

Ocean Viking hat Notstand ausgerufen

Der Verdachtsfall wurde mittlerweile evakuiert und negativ getestet. Nach den versuchten Selbstmorden rief die Ocean Viking am Freitagabend den Notstand aus und bat die Behörden um Hilfe für 44 Personen, die sich nach Aussage der Crew in akuter seelischer Not befinden.

Am Samstagmittag trifft ein italienischer Arzt mit einem kulturellen Vermittler in den internationalen Gewässern vor Italien ein, wo die Ocean Viking aktuell ankert. Der erhoffte sichere Hafen ist bei Redaktionsschluss noch immer nicht in Sicht.

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