«Wir könnten in Cherson blutige Strassenkämpfe sehen»
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Blick-Auslandredaktor:«Wir könnten in Cherson blutige Strassenkämpfe sehen»

Russen flüchten angeblich aus Cherson wegen ukrainischer Offensive
«Wir sind hier in der Falle, wir sind am Arsch!»

Am Montag haben die Ukrainer in der Region Cherson auf breiter Front mit einer Grossoffensive begonnen. Putins Armee soll daraufhin in Panik geraten sein und flüchten.
Publiziert: 31.08.2022 um 16:54 Uhr
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Aktualisiert: 31.08.2022 um 17:32 Uhr

Die Russen verzweifeln offenbar in Cherson. Bisher scheint Putins Armee der seit Montag laufenden ukrainischen Offensive nichts entgegenzusetzen zu haben. Bereits am ersten Tag berichtete unter anderem CNN von mehreren Ortschaften, die sechs bis 15 Kilometer hinter der Front an die Ukrainer gefallen seien.

Kirill Stremoussow, stellvertretender Verwaltungschef in Cherson und ukrainischer Überläufer, erklärt via Telegram, niemand laufe davon. Auch von einer Befreiung will er nichts wissen. Er selber hat sich allerdings ins Marriott-Hotel in der russischen Stadt Woronesch zurückgezogen. Das gab er allerdings erst zu, als ukrainische Blogger dies entdeckten.

Das habe aber nichts mit der Grossoffensive der Ukrainer zu tun. Seine Erklärung für die Abreise: Er habe dort dringend an ein Seminar gemusst. Der eigentliche Verwaltungschef Chersons, Wladimir Saldo (66), ist seit Anfang August nicht mehr gesehen worden – laut Kreml wegen einer Corona-Erkrankung. Am Samstag wurde zudem der ukrainische Politiker aus Cherson, Oleksi Kowaljow, erschossen, einst Abgeordneter von Wolodimir Selenskis Partei «Diener des Volkes», unlängst aber zu den Russen übergelaufen. Das berichtet der «Spiegel».

Die ukrainische Armee hat einen grossen Gegenangriff auf die besetzte Stadt Cherson gestartet.
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Ukrainer decken die Region mit Artilleriebeschuss ein

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Die Region Cherson mit ihrer gleichnamigen Hauptstadt am Ufer des Dnipro grenzt an die 2014 von Russland annektierte Schwarzmeer-Halbinsel Krim. Als erste Grossstadt war Cherson Anfang März kurz nach Beginn der russischen Invasion von der russischen Armee eingenommen worden. Die Region ist für die Landwirtschaft des Landes von zentraler Bedeutung und wegen ihrer Nähe zur Krim auch strategisch wichtig.

Seit Monaten wird im Gebiet gekämpft, am Montag starteten die Ukrainer aber eine gross angelegte Offensive. Seither decken Selenskis Truppen die Region mit Artilleriebeschuss ein.

In «fast dem gesamten Gebiet» der südukrainischen Region seien «schwere Kämpfe» mit «starken Explosionen» ausgebrochen, erklärte der Präsident am Dienstag. Am Mittwoch meldete auch die russische Besatzungsmacht zahlreiche schwere Explosionen in der Stadt Cherson.

Kommandanten setzten sich ab

Angeblich sind die Russen in Panik wegen der Grossoffensive. Der «Spiegel» zitiert einen EU-Analysten, laut dem der ukrainische Geheimdienst immer wieder Gespräche zwischen russischen Soldaten und ihren Familien abfange.

Ein Soldat soll in einem Telefonat mit seiner Ehefrau gesagt haben: «Wir sind hier in der Falle, wir sind am Arsch! Wir kommen nicht heim.» Zudem werden auch Beobachter zitiert, die von russischen Befehls- und Kommandoführern berichten, die sich auf die Ostseite des Dnjepr absetzten. Darunter seien sogar Divisionskommandeure, die ihre Truppen zurückliessen – um sich selbst zu retten.

Was davon wahr ist, ist nicht klar. Sicher ist, dass die Ukrainer mit aller Macht versuchen, Cherson zurückzugewinnen. Ein eindeutiges Zeichen dafür, dass sie nicht mehr wie zu Beginn des Krieges nur auf russische Angriffe reagieren müssen.

«Fast alle grossen Brücken zerstört»

Ob die Ukrainer mit ihrer Grossoffensive Erfolg haben werden und Cherson zurückerobern, ist schwer zu sagen. Laut verschiedenen Berichten sind rund 15’000 russische Soldaten in der Region stationiert. Die Ukraine hat laut US-Verteidigungsministerium ungefähr gleich viele Truppen dorthin gesandt. Stellungen zu verteidigen, ist aber immer einfacher, als sie einzunehmen. Militärexperten gehen davon aus, dass Angreifer dreimal mehr Truppen brauchen, als die Verteidiger. Womit die Ukrainer noch kräftig nachrüsten müssten.

Zu der am Montag gestarteten Offensive in der Region Cherson hiess es aus Kiew, die ukrainischen Streitkräfte griffen die russischen Truppen «in unterschiedliche Richtungen» an. Dem Präsidentenbüro zufolge sind in der Region inzwischen «fast alle grossen Brücken» zerstört worden, lediglich «Fussgängerübergänge» seien verblieben.

Russlands Verteidigungsministerium hatte am Montag mitgeteilt, es habe der ukrainischen Armee in der Region um Cherson und Mykolajiw «schwerwiegende Verluste» zugefügt. Demnach hätten die ukrainischen Streitkräfte «in drei Richtungen» angegriffen, aber mehr als 560 Soldaten und 26 Panzer verloren. Wer die Schlacht um Cherson gewinnt, dürfte noch lange nicht entschieden sein. (vof/AFP)

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