Putin-Berater fordert
Nuklearer Präventivschlag Moskaus soll die Menschheit vor dem Untergang bewahren

Blütezeit der Scharfmacher in Russland. Ein Putin-Berater fordert einen nuklearen Präventivschlag gegen den Westen, um die Welt vor dem Untergang zu bewahren. Die scharfe Rhetorik zeigt, wie massiv sich Moskaus Nationalisten in dieser Kriegszeit bedroht fühlen.
Publiziert: 17.06.2023 um 04:37 Uhr
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Aktualisiert: 17.06.2023 um 23:31 Uhr
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Daniel KestenholzRedaktor Nachtdienst

Jetzt ist es ganz klar, was der russische Kriegspräsident Wladimir Putin (70) über nukleare Rüstungskontrolle denkt. Bei einem Wirtschaftsforum in St. Petersburg bestätigte Putin die Stationierung von ersten Atomwaffen in Belarus. Dabei prahlte er mit Russlands Atomarsenal: «Wir haben mehr solcher Waffen als die Nato-Länder. Sie wissen das und drängen uns die ganze Zeit dazu, dass wir Gespräche über Abrüstung anfangen», so der Kreml-Chef weiter – und fügte hinzu: «Scheiss drauf, verstehen Sie, wie man bei uns im Volk sagt.»

Putins Sprecher Dmitri Peskow (55) sah sich daraufhin genötigt, Putins Aussage vor Journalisten zu relativieren: «Russland ist bereit, Verhandlungen zu führen», versicherte Peskow. Dies, während im Land eine neue Debatte über den Einsatz von Atomwaffen aufflammt. Sergei Karaganow (70), ein Berater von Putin und davor von Ex-Präsident Boris Jelzin (1931–2007), macht sich in einem offenen Brief für einen Atomschlag Moskaus stark.

Präventivschlag gegen Polen

Der Ehrenvorsitzende des einflussreichen russischen Rates für Aussen- und Verteidigungspolitik spricht von einer «schwierigen, aber notwendigen Entscheidung. Der Einsatz von Atomwaffen kann die Menschheit vor einer globalen Katastrophe retten», titelt Karaganow seine Einschätzung. Russland müsse seine Bereitschaft demonstrieren, einen «nuklearen Präventivschlag» auf dem Territorium eines der westeuropäischen Länder zu führen, die die Kiewer Führung unterstützen.

Er ist eine prominente Stimme in Russland: Präsidentenberater Sergei Karaganow, der Ehrenvorsitzende des einflussreichen Rates für Aussen- und Verteidigungspolitik.
Foto: IMAGO/SNA
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Konkret scheint Karaganow Polen anzusprechen. Und wenn eine solche Eskalation die europäischen Staats- und Regierungschefs nicht dazu zwinge, zur Besinnung zu kommen, wäre es notwendig, gegen eine «Gruppe von Ländern» vorzugehen.

Der am Dienstag in der Zeitschrift «Russland in Weltpolitik» veröffentlichte Brief löste auch in Russland eine Debatte aus. Es gibt prominente Stimmen, die mit Bestürzung reagierten, andere äusserten sich weniger kritisch.

«Sonst ist die Menschheit dem Untergang geweiht»

«Unser Land und seine Führung», beginnt Karaganow, «stehen meines Erachtens vor einer schwierigen Entscheidung. Es wird immer deutlicher, dass unser Konflikt mit dem Westen auch dann nicht zu Ende sein wird, wenn wir in der Ukraine einen Teilsieg – geschweige denn einen vernichtenden Sieg – erringen.»

«Lukaschenko zeigte schon früher Interesse an Atomwaffen»
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Putin spricht im TV:«Lukaschenko zeigte schon früher Interesse an Atomwaffen»

Dann die Passagen, die auch in Russland für Kopfschütteln sorgen: Er habe viele Jahre damit verbracht, die Geschichte der nuklearen Abschreckung zu studieren. Auf der Angst vor Nuklearwaffen habe der relative Frieden des letzten Dreivierteljahrhunderts beruht. «Doch nun ist diese Angst verschwunden. Die Angst vor einer atomaren Eskalation muss wiederhergestellt werden. Sonst ist die Menschheit dem Untergang geweiht.»

«Die Angst vor der atomaren Eskalation muss zurückgewonnen werden», schreibt Karaganow. Seine Folgerung: Eine solche harte, aber notwendige Entscheidung einer Eskalation würde den Westen wahrscheinlich zum Rückzug zwingen, ein früheres Ende des Ukraine-Konflikts ermöglichen und eine Ausweitung der Krise auf andere Staaten verhindern.

Kritik an Eskalationsstrategie

In einer Replik konterte Ilja Fabrichnikow, ebenfalls Mitglied des Rates für Aussen- und Verteidigungspolitik, Russland dürfe den Köder der Nato nicht schlucken. «Man sollte nicht daran denken, Polen in ein nukleares Ödland zu verwandeln», so Fabrichnikow. Nukleare Abschreckung genüge. Wenn polnische Soldaten offen mit russischen Streitkräften in Kontakt kämen, oder falls polnische Truppen Gebiete in der Westukraine besetzen oder versuchen, in Kaliningrad einzumarschieren oder militärische Aktionen gegen Weissrussland durchführen: «Dann muss die nationale Doktrin der nuklearen Abschreckung in Kraft gesetzt werden.» In diesem Falle werde «niemand zweimal darüber nachdenken, da sie klar und deutlich definiert ist».

Man dürfe sich vom Westen nicht in die Falle locken lassen, schliesst der russische Aussenpolitikexperte: «Wir sollten unseren ausländischen ‹Partnern› nicht das Privileg vorenthalten, all die Fehler zu machen, auf die sie uns programmieren wollen.»

Putin: «Einsatz extremer Mittel möglich»

Auf die Frage am Freitag in St. Petersburg, ob Putin an den Einsatz von Atomwaffen denke, sagte der russische Staatsführer: «Alle warten darauf, dass wir anfangen, Knöpfe zu drücken», zitiert ihn die «Komsomolskaja Prawda». «Aber das ist nicht notwendig, der Feind an der Front hat keinen Erfolg. Und wenn wir erkennen, dass ein Erfolg unwahrscheinlich ist, provozieren wir uns in der Hoffnung, mit dem Finger darauf zu zeigen und zu sagen: ‹Sehen Sie, wie grausam sie sind.›»

Dann Putins grobe Sprache: «Wir werden ständig dazu überredet, Verhandlungen über die atomare Abrüstung aufzunehmen. Scheiss drauf.» Falls aber Russland als Staat bedroht sei, und das habe er bereits wiederholt gesagt, sei «der Einsatz extremer Mittel möglich».

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