Polizei darf sie nicht vernehmen
Mädchen in Deutschland jahrelang eingesperrt – keine Konsequenzen für Eltern

Ein Mädchen blieb in Deutschland fast sein ganzes Leben im Haus isoliert. Vor etwas weniger als einem Jahr kam dann die Erlösung. Doch strafrechtliche Konsequenzen gab es bis heute keine.
Publiziert: 09.08.2023 um 15:48 Uhr

Im September 2022 sorgte der Fall um ein jahrelang eingesperrtes Mädchen (9) in ganz Deutschland für Entsetzen. Wie der «Spiegel» berichtet, blieb die Angelegenheit für die Verantwortlichen bis heute folgenlos.

Über einen Zeitraum von sieben Jahren hinweg soll das Mädchen im Haus ihrer Grosseltern im sauerländischen Attendorn von der Aussenwelt isoliert worden sein – nahezu sein gesamtes Leben lang. Doch das Verfahren ist in einer Sackgasse. Ein Sprecher der zuständigen Staatsanwaltschaft Singen: «Das Mädchen dürfen wir nicht vernehmen und die Beschuldigten schweigen.» Das mache die Sache relativ schwierig.

Keine Verjährung

Die Ermittlungen gegen die Mutter und die Grosseltern des Kindes dauern an. Eine Verjährung droht dem Sprecher zufolge nicht. Das Opfer könne sich nach Erreichen der Volljährigkeit zu einer Aussage entschliessen und das Verfahren wieder in Gang bringen, sollte es bis dahin noch nicht abgeschlossen sein.

In diesem Haus soll das Kind sieben Jahre von der Aussenwelt abgeschottet gelebt haben.
Foto: Keystone

Anonyme Briefe, die seit 2020 mehrfach beim Jugendamt eingegangen sein sollen und auf die Situation des Kindes hinwiesen, führten erst im Juni 2022, fast zwei Jahre nach dem ersten Brief, zu Fortschritten. Weil die Mutter des Mädchens behauptet hatte, nach Italien ausgewandert zu sein, erkundigte sich das Jugendamt zunächst dort nach dem Verbleib der heute 9-Jährigen. Aufgrund des negativen Bescheids fand schliesslich eine Hausdurchsuchung bei den Grosseltern statt. Das Mädchen schlief dort gemeinsam mit ihrer Mutter in einem Zimmer.

Das Kind wies damals körperliche Beeinträchtigungen auf. So fiel ihm etwa das Treppensteigen schwer. Die Beeinträchtigungen haben sich nach Angaben der Staatsanwaltschaft inzwischen gebessert.

Vormund stellt sich quer

Dass die Ermittler das Kind nicht vernehmen dürfen, liegt an der fehlenden Zustimmung des Ergänzungspflegers. So wird in Deutschland der Vormund genannt. Die Ermittler dürfen das Kind auch nicht medizinisch begutachten lassen. Immerhin wurden laut Staatsanwaltschaft die behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbunden.

Ob die Beweise jemals für eine Anklage reichen, ist unklar. In einem getrennten Verfahren wird gegen eine ehemalige Jugendamtsmitarbeiterin ermittelt. Sie soll Hinweisen auf das Schicksal des Mädchens nicht oder nicht konsequent genug nachgegangen sein. Gegen die Mutter und die Grosseltern wird wegen Freiheitsberaubung, gegen die Jugendamtsmitarbeiterin wegen Körperverletzung im Amt durch Unterlassen ermittelt. (noo)

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