Neues Kreml-Papier aufgetaucht
Die irren Zukunftsfantasien von Putins Patriarch Kirill

Kirchenoberhaupt Kirill I. zählt zu den wichtigsten Unterstützern von Wladimir Putin. Nun hat die russisch-orthodoxe Kirche ein neues Strategie-Papier veröffentlicht. Darin wird beschrieben, wie sich die Kirche – und wahrscheinlich auch Putin – die Zukunft vorstellen.
Publiziert: 11.04.2024 um 13:48 Uhr
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Aktualisiert: 11.04.2024 um 14:09 Uhr
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Marian NadlerRedaktor News

Aussenminister Sergei Lawrow (74), Verteidigungsminister Sergei Schoigu (68) oder der frühere Russen-Präsident Dimitri Medwedew (58) – sie alle gehören zum engeren Kreis von Kremlchef Wladimir Putin (71). Auf die drei politischen Strippenzieher kann sich Russlands Präsident verlassen.

Doch auch ausserhalb der politischen Kaste hat Putin einen grossen und mächtigen Unterstützer: den russischen Patriarchen Kirill I. (77), das Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche. Wie nah sich die beiden in puncto Ukraine-Krieg und Entwicklung der russischen Gesellschaft sind, enthüllt nun ein neues Strategie-Papier der Kirche. Blick fasst die drei wichtigsten Punkte der grotesken Zukunftsfantasien zusammen. Zunächst hatte «Bild» darüber berichtet.

Kremlchef Wladimir Putin kann sich nicht nur der Unterstützung von Ex-Präsident Dimitri Medwedew (links) sicher sein, sondern auch der von Patriarch Kirill (Mitte).
Foto: IMAGO/SNA
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Ukraine soll vollständig unterworfen werden

Der Krieg in der Ukraine, im typischen Propaganda-Sprech im Dokument als «militärische Spezialoperation» bezeichnet, sei ein «Heiliger Krieg». Ein Begriff, den man sonst vor allem von radikalen Islamisten kennt, wird jetzt also auch von Putins Schergen verwendet. Wie man es bereits aus Putins Reden kennt, wird die russische Invasion in der Ukraine zum Kampf gegen den gesamten Westen hochstilisiert. Der russische Feldzug sei «eine neue Etappe des nationalen Befreiungskampfes des russischen Volkes gegen das verbrecherische Kiewer Regime und den dahinter stehenden kollektiven Westen».

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Bei Messe in Südrussland:Patriarch Kirill rutscht auf Weihwasser aus

Auffällig: Man führe den Krieg schon «seit 2014 in den Gebieten Südwestrusslands» – gemeint ist die Ostukraine. Die Russen-Kirche gesteht ein, was vielen Beobachtern schon lange klar war: Die strategisch geplante Eroberung der Ukraine erfolgte nicht erst im Frühjahr 2022, sondern schon seit 2014. Bislang hatte die russische Propaganda die jahrelangen Kämpfe in der Ostukraine vor der Invasion stets als «Bürgerkrieg» betitelt.

Was das Ziel der «militärischen Spezialoperation» ist, daraus macht die Kirche keinen Hehl: «Das gesamte Gebiet der modernen Ukraine soll in die Zone des ausschliesslichen Einflusses Russlands fallen.» Putin will sich nicht nur den Donbass, sondern das ganze Land unter den Nagel reissen.

Ihre Unabhängigkeit können die Ukrainer anschliessend vergessen, wie eine Passage besonders deutlich macht. «Die Möglichkeit, dass auf diesem Territorium ein russophobes politisches Regime, das Russland und seinem Volk feindlich gesinnt ist, muss völlig ausgeschlossen werden», heisst es. Putin erhöhte jüngst die Rhetorik gegenüber den baltischen Staaten. Auch die Republik Moldau könnte ein Ziel sein.

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Im Ausland lebende Russen sollen zurückkehren

Als übergeordnetes Ziel nennt das Strategie-Papier «die Wiederherstellung der Einheit des russischen Volkes». Bedeutet vermutlich: Im Ausland lebende Russen sollen nach Hause geholt werden – indem die Länder, in denen sie leben, überfallen werden. In Osteuropa würde dies unter anderem auf die Republik Moldau und die baltischen Staaten zutreffen, die einen gewissen Anteil an Russen und Menschen, die sich als solche betrachten, aufweisen.

Geplant ist zudem ein «Heim ins Reich»-Programm. «Russland muss zu einem Zufluchtsort für alle Landsleute in der Welt werden, die unter dem Ansturm des westlichen Globalismus, unter Kriegen und Diskriminierung leiden.» Die spalterische Idee schliesst auch Ausländer ein, die die russischen «Werte» teilen. In Russland soll sich die Gesamtheit der Westen-Hasser vereinigen.

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Massives Bevölkerungswachstum

Was Kirill und Putin Sorgen macht, ist die demografische Entwicklung Russlands. Die Rede ist von der «grössten Bedrohung für Russlands Existenz», das Land erlebe eine «demografische Katastrophe». Ein «intensives, natürliches Bevölkerungswachstum» werde benötigt.

Wie das Problem beseitigt werden soll, klingt verrückt: In hundert Jahren soll sich die russische Bevölkerung vervierfachen, was bedeuten würde, dass sich die russische Bevölkerung von rund 144 Millionen auf 600 Millionen Einwohner vergrössert. Um den Plan in die Tat umzusetzen, verpflichtet sich die Kirche finanzielle und andere Anreize zu schaffen. Es sind sogar Pilotprojekte geplant, die in einzelnen Regionen getestet werden sollen. Erfolgreiche Projekte sollen anschliessend auf das ganze Land ausgeweitet werden.

Damit nicht genug, sollen die kommenden Generationen voll auf Putin-Linie gebracht werden – und zwar von Geburt an. Im Papier liest sich das so: «Die Aneignung der weltanschaulichen Ideen und der geistigen und moralischen Werte der russischen Zivilisation ist der wichtigste Aspekt bei der Erziehung künftiger Generationen russischer Bürger.»

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