Sonnenanbeter meiden die Liegewiese und bevorzugen den Steg.
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«Ich habe schlimme Befürchtungen»
Drosten warnt vor massiver Sommer-Welle

In einem Interview erklärt der führende Corona-Forscher, warum die aktuellen Massnahmen, Impfstoffe und wärmere Temperaturen nicht ausreichen werden. Und was jetzt getan werden müsste, um den Sommer zu retten.
Publiziert: 22.01.2021 um 20:38 Uhr
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Aktualisiert: 01.02.2021 um 11:22 Uhr

Europa ist wieder grösstenteils im Lockdown, die Impfaktion läuft an – doch das reicht nicht, sagt Virologe Christian Drosten (48). Der führende Corona-Forscher rät, «auf die Null zumindest zu zielen», also die Fallzahlen durch drastische Massnahmen schnellstmöglich und konsequent zu senken. «Vor allem, weil ich schlimme Befürchtungen habe, was sonst im Frühjahr und Sommer passieren könnte», sagt der Wissenschaftler in einem «Spiegel»-Interview.

«Wenn die alten Menschen und vielleicht auch ein Teil der Risikogruppen geimpft sein werden, wird ein riesiger wirtschaftlicher, gesellschaftlicher, politischer und vielleicht auch rechtlicher Druck entstehen, die Corona-Massnahmen zu beenden», befürchtet Drosten. «Und dann werden sich innerhalb kurzer Zeit noch viel mehr Leute infizieren, als wir uns das jetzt überhaupt vorstellen können.»

Zwar würden sich eher jüngere Menschen anstecken, die seltener schwere Verläufe haben – doch die Intensivstationen seien bei mehr Ansteckungen automatisch wieder voller. Besondere Sorgen bereiten Drosten die ansteckenderen Mutationen wie die britische Variante B.1.1.7. Deren Ausbreitung müsse möglichst in Schach gehalten werden.

Erst ab Mitte des Herbstes werden die Impfstoffe einen Effekt haben, sagt der deutsche Virologe Christian Drosten.
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Niedrige Fallzahlen im Frühjahr bescherten guten Sommer

Drosten macht keine Hoffnung, dass die Situation im Sommer besser wird. Dafür seien die Fallzahlen aktuell schlicht zu hoch. «Dass wir 2020 einen so entspannten Sommer hatten, hatte wahrscheinlich damit zu tun, dass unsere Fallzahlen im Frühjahr unter einer kritischen Schwelle geblieben sind. Das ist inzwischen aber nicht mehr so.»

Er fürchte, es werde eher so sein «wie in Spanien» – dort stiegen die Fallzahlen trotz wärmerer Temperaturen nach dem Lockdown schnell wieder. «Auch in Südafrika, wo derzeit Sommer ist, bewegen sich die Fallzahlen auf hohem Niveau.»

Drostens Einschätzung bezieht sich auf Deutschland, wo die Fallzahlen aktuell noch immer viel niedriger liegen als in der Schweiz. Aktuell liegt die Zahl der täglichen Neuinfektionen (7-Tages-Durchschnitt) in der Schweiz bei rund 24 auf 100'000 Einwohner – in Deutschland sind es nur deren 16. Ansteckendere Mutationen machen Wissenschaftlern und Politikern Sorgen. Laut Berechnungen ist ein ansteckenderes Virus für die Gesamtlage schlimmer als ein tödlicheres. Auch die Schweiz verschärfte in Hinblick darauf präventiv die Corona-Massnahmen.

Drosten macht Hoffnung für Mitte des Herbsts

Ein schlimmes Szenario liesse sich trotz der neuen Impfstoffe praktisch nur mit einem konsequenten Drücken der Fallzahlen verhindern, sagt Christian Drosten. Die sogenannte «Zero Covid»-Strategie wird auch in der Schweiz von vielen Experten vertreten. Virologin Isabella Eckerle (41) forderte bereits im Dezember im Interview mit dem SonntagsBlick einen europäischen Lockdown.

«Ich denke, dass man irgendwann Mitte des Herbsts Auswirkungen der Impfungen bemerken müsste. Auch bevölkerungsweit, nicht nur in dem Sinn, dass dann die Risikogruppen geschützt sind. Sodass sich viel weniger Menschen anstecken», sagt Christian Drosten. Aber dazu dürften jetzt «nicht ganz unvorhersehbare Dinge» passieren. Etwa Mutationen, gegen die die Impfungen nicht wirkten. (kin)

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