Gespräch über «Taurus»-Raketen veröffentlicht
Russland soll deutsche Bundeswehr abgehört haben

Russische Propaganda-Kanäle haben Aufzeichnungen einer geheimen Bundeswehr-Besprechung veröffentlicht. Der deutsche Militärgeheimdienst ermittelt. Am Montag meldete sich der Kreml zu Wort.
Publiziert: 04.03.2024 um 10:40 Uhr
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Aktualisiert: 04.03.2024 um 11:14 Uhr

Der Abhörskandal um die deutsche Bundeswehr wird immer peinlicher: Einem Medienbericht zufolge soll die Schaltkonferenz der betroffenen Offiziere über eine ungeschützte Leitung erfolgt sein. Nach Informationen der Deutschen Presseagentur (dpa) konferierten die Offiziere über die Kommunikationsanwendung Webex. Diese sei wiederum über eine Festnetzleitung in einem Büro der Bundeswehr auf die Mobiltelefone der Soldaten abgesetzt worden. Das berichtet die «Bild am Sonntag» unter Berufung auf Sicherheitskreise. 

Das Blatt zitiert eine Sprecherin des Verteidigungsministeriums. «Es gibt Anhaltspunkte, dass mit Blick auf die offensichtlich besprochenen Inhalte ein nicht ausreichend sicheres Kommunikationsmittel verwendet wurde. Dies ist unter anderem Gegenstand der weiteren Untersuchungen», sagt sie.

40 Minuten ist die Aufnahme des geheimen Gesprächs lang. Darin zu hören sind hochrangige Mitglieder der deutschen Bundeswehr, wie sie heikle Informationen austauschen. Publiziert wurde die Aufnahme vom russischen Propaganda-Medium Russia Today. Die Chefredaktorin des Mediums, Margarita Simonjan (43), sagte am Freitag, sie habe diese Aufnahmen von russischen Sicherheitsbeamten erhalten.

Russland soll ein geheimes Gespräch deutscher Bundeswehr-Generäle über «Taurus»-Marschflugkörper abgehört haben.
Foto: keystone-sda.ch
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Unter anderem geht es um theoretische Möglichkeiten eines Einsatzes deutscher Taurus-Marschflugkörper in der Ukraine. Einer der Generäle meint dazu, dass Deutschland der Ukraine maximal 50 bis 100 Flugkörper zur Verfügung stellen könnte. «Dann ist aber auch Ende Gelände – und den Krieg ändern wird das nicht», ist auf der Aufnahme zu hören.

Generäle diskutieren Krim-Angriff

In dem geleakten Mitschnitt geht es auch um die Frage, ob Taurus-Raketen theoretisch in der Lage dazu wären, die Brücke zur annektierten Halbinsel Krim zu zerstören. Ausserdem wird besprochen, ob die Ukraine den Beschuss auch ohne die Hilfe der deutschen Bundeswehr bewerkstelligen könnte.

Und hier wird es für den deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz (65) brenzlig: Denn er lehnt eine mögliche Taurus-Lieferung an die Ukraine mit der Begründung ab, dass es deutsche Soldaten in der Ukraine brauche, um die Marschflugkörper abzufeuern. Die Generäle gehen in der Aufnahme aber davon aus, dass die ukrainischen Soldaten dies auch allein schaffen können.

Die deutsche Taurus-Abhöraffäre bezeugt nach Ansicht des Kremls die «direkte Verwicklung» des Westens am Konflikt in der Ukraine. «Die Aufnahme selbst lässt vermuten, dass die Bundeswehr substanziell und konkret Pläne diskutiert, russisches Territorium anzugreifen», sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow (56) am Montag mit Blick auf das durchgesickerte Gespräch zwischen Bundeswehr-Offizieren, bei dem auch mögliche Angriffe auf die Krim-Halbinsel besprochen werden. Es «zeigt einmal mehr die direkte Verwicklung des kollektiven Westens in den Konflikt in der Ukraine».

Der ehemalige russische Präsident Dmitri Medwedew (58) warf Deutschland in einem Telegram-Beitrag am Montag vor, sich auf einen Krieg mit Russland vorzubereiten und führte das abgehörte Gespräch als angeblichen Beweis an. Das Gespräch der deutschen Offiziere sei kein blosses Gedankenspiel über Raketen und Panzer, erklärte der stellvertretende Chef des russischen Sicherheitsrates. Den deutschen Bundeskanzler bezeichnete Medwedew als «Leberwurstkanzler». 

Brisante Aussagen über Verbündete

Scholz hat am Samstag schnelle Aufklärung versprochen. Am Rande eines Besuchs im Vatikan sprach der SPD-Politiker am Samstag von einer «sehr ernsten Angelegenheit».

Das russische Aussenministerium forderte nach dem angeblich abgehörten Gespräch von ranghohen Bundeswehroffizieren eine Erklärung der Bundesregierung. «Versuche, um Antworten herumzukommen, werden als Schuldeingeständnis gewertet», schrieb Moskaus Sprecherin des Aussenministeriums, Maria Sacharowa (48), auf ihrem Telegram-Kanal.

Brisant ist, dass die Rede davon ist, dass die Briten im Zusammenhang mit dem Einsatz ihrer an die Ukraine gelieferten Storm-Shadow-Marschflugkörper «ein paar Leute vor Ort» hätten. Gerade erst hatte es in Grossbritannien Verärgerung über eine Äusserung von Kanzler Scholz gegeben, die ihm von einigen als Indiskretion ausgelegt wurde.

«Was an Zielsteuerung und an Begleitung der Zielsteuerung vonseiten der Briten und Franzosen gemacht wird, kann in Deutschland nicht gemacht werden», sagte der SPD-Politiker. Was er genau damit meint, liess er offen. Der Satz wurde aber von einigen als Hinweis verstanden, Franzosen und Briten würden die Steuerung ihrer an die Ukraine gelieferten Marschflugkörper Storm Shadow und Scalp mit eigenen Kräften unterstützen.

Hat Russland weitere Interna abgehört?

Laut Informationen des deutschen Magazins «Spiegel» sind die Aufnahmen authentisch. Eine erste Analyse des Bands belegt laut «Spiegel», dass die Luftwaffen-Offiziere bei der Besprechung ziemlich unvorsichtig waren. Zudem befand sich mindestens einer der Teilnehmer der Besprechung in Singapur und nahm vermutlich über sein Handy an der Runde teil.

«Sollte sich diese Geschichte bewahrheiten, wäre das ein hochproblematischer Vorgang», sagte der Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollgremiums des deutschen Bundestags dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). «Es stellt sich die Frage, ob es sich hier um einen einmaligen Vorgang oder ein strukturelles Sicherheitsproblem handelt. Ich erwarte umgehende Aufklärung aller Hintergründe.»

Der Bundeswehr-Geheimdienst (MAD) ermittelt unter Hochdruck, das Verteidigungsministerium ist alarmiert. Denn im schlimmsten Fall kann sich der Vorgang noch deutlich ausweiten. Da bei der Bundeswehr viele Meetings über Webex abgewickelt werden, muss die Bundeswehr fürchten, dass russische Stellen noch weitere Interna abgegriffen haben könnten. (chs/SDA)

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