Geschäfte, Ämter und Spione – warum reist ausgerechnet Kanzler-Neuling Nehammer nach Moskau?
Die gefährliche Nähe Österreichs zu Putin

Der erst seit vier Monaten amtierende österreichische Kanzler Karl Nehammer besucht den Kreml, um im Krieg in der Ukraine zu vermitteln. Ein politisches Leichtgewicht beim grössten Kriegstreiber? Wir zeigen, was die beiden Staaten verbindet.
Publiziert: 11.04.2022 um 15:24 Uhr
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Aktualisiert: 11.04.2022 um 17:03 Uhr
Guido Felder

Karl Nehammer (49) bei Putin: Dass nach den Mächtigen wie dem deutschen Kanzler Olaf Scholz (63), dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron (44) und dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan (68) nun der österreichische Kanzler-Neuling Nehammer in die Vermittlungsgespräche eingreift, überrascht.

Vor allem auch, weil Moskau Wien vor wenigen Tagen vorgeworfen hat, «einseitige und empörende Aussagen» zum Ukraine-Krieg zu machen, die sich für einen neutralen Staat nicht gehören würden. Der erst seit vier Monaten amtierende Kanzler Nehammer erwiderte darauf gereizt, dass die Russen zwar sein Land von den Nazis befreit, aber ihm auch die Neutralität aufgezwungen hätten.

Warum reist dann ausgerechnet Nehammer als erster westlicher Regierungschef nach Ausbruch des Krieges nach Moskau?

Am 18. August 2018 heiratete Karin Kneissl. Wladimir Putin war ihr Gast und führte sie übers Parkett.
Foto: AFP
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Mit keinem andern europäischen Land ist Russland so gut vernetzt wie mit Österreich. Es ist eine Beziehung, die auf den Zweiten Weltkrieg zurückgeht. Bis 1955 war Österreich von den Alliierten besetzt, wobei die Sowjetunion den Osten und den grössten Teil von Wien verwaltete. Seither gilt die österreichische Hauptstadt für Russland als Tor zu Europa – in jeder Beziehung.

2020 war Russland mit 21,4 Milliarden Euro nach Deutschland der grösste Auslandsinvestor. Ein Klumpenrisiko, wie sich nun zeigt: Wegen der Pleite der Sberbank, der europäischen Tochter der russischen Staatsbank – musste die österreichische Einlagensicherung fast eine Milliarde Euro aufbringen, um die Guthaben zu sichern.

Wohl nirgendwo anders ist die Dichte von russischen Spionen so gross wie in der Hauptstadt Österreichs, wo viele internationale Unternehmen und Organisationen ihren Sitz haben. Florian Horcicka, Autor des Buches «Im Fadenkreuz der Spione», spricht von rund 10’000 Personen, die der «Szene» zugerechnet werden könnten. Selbst österreichische Ministerien, Medien, Behörden und Institutionen seien unterwandert.

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FPÖ bandelt mit Kreml an

Besonders die in den vergangenen Jahren erstarkte rechte FPÖ suchte die Nähe zum Kreml. 2016 schloss die damalige Parteileitung unter Heinz-Christian Strache (52) und Johann Gudenus (45) mit der Kreml-Partei Einiges Russland einen Kooperationsvertrag ab. Inhalt: Erfahrungen mit Parteiaufbau und Gesetzgebung austauschen sowie «die Erziehung der jungen Generation im Geist von Patriotismus und Arbeitsfreude».

Eine besondere Rolle spielte Gudenus, der als Jugendlicher Russisch gelernt hatte. 2014 war er Wahlbeobachter beim Referendum zum Anschluss der Krim an Russland, wo er einen ordnungsgemässen Ablauf attestiert hatte.

Gudenus war es auch, der 2019 auf Ibiza Vize-Kanzler Strache mit einer angeblichen russischen Oligarchen-Nichte zusammenbrachte. Darin ging es unter anderem um die Manipulation der österreichischen Medien gegen das nötige Kleingeld. Das heimlich aufgenommene Video, in dem Strache bestochen werden sollte, führte zum Bruch der damaligen ÖVP-FPÖ-Regierung unter Kanzler Sebastian Kurz (35, ÖVP).

Tanz mit Putin und teure Ohrringe

Die Nähe der FPÖ zu Moskau offenbarte sich auch 2018, als die zwar parteilose, aber von der FPÖ portierte Aussenministerin Karin Kneissl (57) zu ihrer Hochzeit Wladimir Putin (69) einlud – und das nur fünf Monate nach dem russischen Giftanschlag auf Sergej Skripal (70) und seine Tochter.

Am Schluss des gemeinsamen Hochzeitstanzes bedankte sich Kneissl bei Putin untertänig mit einem Knicks für das Pas de deux und die 50’000 Euro teuren Ohrringe, die sie aber nachträglich dem Staat abgeben musste.

Seit 2020 ist Kneissl Gastautorin beim russischen Staatssender Russia Today, 2021 wurde sie Aufsichtsratsmitglied beim Ölkonzern Rosneft.

In Frankreich stellte sich heraus, dass die rechtsextreme Front National von Marine Le Pen (53) für den Wahlkampf 2014 vom Kreml mindestens neun Millionen Euro erhalten hatte. Das Gleiche wird von der FPÖ vermutet, die es aber verneint, vom Kreml unterstützt zu werden. Strache beteuerte stets: «Wir kriegen kein Geld» und begründete seine Sympathie zu Russland mit seiner «Verantwortung für den Frieden».

Ehemalige Kanzler mit lukrativen Jobs

Doch nicht nur die FPÖ, auch Politiker anderer Parteien suchten die Nähe zum Kreml und engagierten sich nach ihrem Rückzug aus der Politik für russische Firmen: ex-Kanzler Christian Kern (56, SPÖ) als Aufsichtsrat der russischen Staatsbahn RZD und ex-Kanzler Wolfgang Schüssel (76, ÖVP) als Direktionsmitglied des Mineralölkonzerns Lukoil. Beide haben aber nach dem Startschuss zur Invasion in die Ukraine den Stecker gezogen und die Ämter niedergelegt.

Nehammers Besuch im Kreml wird kritisiert. Ein politisches Fliegengewicht lasse sich vom grössten Kriegstreiber vorführen, befürchten die Gegner. Doch der Kanzler verteidigt sich: «Alles, was getan werden kann, um Menschen in der Ukraine zu helfen, den Krieg zu stoppen, soll getan werden.»

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