Geiselnahme in Hamburg – jetzt spricht die Mutter von Salman E.
«Er sagte, er werde sie in die Türkei bringen»

Salman E. entführte am Samstag seine Tochter (4) und löste einen Grosseinsatz am Hamburger Flughafen aus. Der Vater war schon wegen Kindsentziehung verurteilt. Zwischen ihm und seiner Ex-Frau brodelte ein jahrelanger Streit.
Publiziert: 10.11.2023 um 21:15 Uhr

«Psychische Ausnahmesituation» nannten die Ermittler den Zustand, in dem Salman E.* (35) seine Tochter (4) entführte und sich dann 18 Stunden lang am Hamburger Flughafen verschanzte. All das wegen eines Sorgerechtsstreits, der seit Jahren brodelte. Weil er seine Tochter nicht sehen durfte, riss bei Salman E. der Geduldsfaden. «Er sagte, er halte das nicht mehr aus», erzählt seine Mutter im Gespräch mit dem «Spiegel».

Der Türke lernte die Deutschtürkin Sevda E.* (38) in Istanbul kennen. «Sie war Flugbegleiterin bei einer Airline, er jobbte in Hotels und Restaurants», sagt der Bruder. Kurz darauf feierten sie eine kleine Hochzeitsfeier am Bosporus. 2019 flog Salman E. das erste Mal zu seiner Frau nach Deutschland. Bald darauf kam die gemeinsame Tochter zur Welt. Die junge Familie lebte in einem Mehrfamilienhaus im niedersächsischen Stade. Doch das Eheleben war geprägt von Streitereien um Geld und den Wohnort.

Denn Salman kam nie in Deutschland an und beherrschte die Sprache nicht. Seine Mutter und der Bruder lebten in der Türkei, in Deutschland fand er keinen Anschluss und die Corona-Pandemie machte ihm zu schaffen. Im März 2022 erhielt die Mutter von Salman E. einen verzweifelten Anruf von ihrer Schwiegertochter. Salman E. sei mit der Tochter verschwunden. Er hatte das Mädchen genommen und war mit dem Auto 33 Stunden nach Mersin in die Türkei zu seiner Familie gefahren, erfuhr Sevda E. später.

18 Stunden, nachdem er mit seiner Tochter auf den Hamburger Flughafen gefahren war, liess sich Salman E. festnehmen.
Foto: Getty Images
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Vater wegen Kindesentziehung verurteilt

Die Deutschtürkin stellte einen Strafantrag wegen «Entziehung einer Minderjährigen». Allerdings wollte sie keine Aussage bei der Polizei machen. Das Jugendamt schaltete sich ein, doch die Ermittlungen liefen ohne Aussage nur schleppend. Laut Staatsanwaltschaft wollte die Kindsmutter die Sache damals ohne Polizei regeln. 

Im Juli 2022 erhielt Sevda E. das alleinige Sorgerecht – während Salman E. sich seit nun über drei Monaten mit der Tochter in Mersin befand. Erneut stellte die Mutter einen Strafantrag und fuhr in die Türkei, um die Tochter zurückzuholen. Salman E. wurde schliesslich wegen Kindesentziehung verurteilt. Doch der Streit ging weiter.

Salman ging vor Familiengericht

Aus Angst, dass er sie erneut entführt, hatte die Mutter dem Vater den Kontakt zur Tochter verboten. Er ging vor das Familiengericht. Die Entscheidung des Familiengerichts wartete er nicht ab. Im März stand er plötzlich unerlaubt in ihrer Wohnung, es kam zum Polizeieinsatz. Immer wieder suchte der Vater auf allen Wegen Kontakt zu seinem Kind.

«Nicht einmal über eine Videoschalte konnte er das Mädchen sehen», so der Bruder von Salman E. Am Tag vor der Geiselnahme hatte Salman E. mit seiner Mutter in Mersin telefoniert und über seine Tochter gesprochen. «Er sagte, er werde sie am nächsten Tag abholen und in die Türkei bringen.» Doch auf ihre Fragen, wie er das anstellen wolle, ging er nicht ein.

Geiselnahme war keine spontane Aktion

Am 5. November nahm Salman E. eine Waffe und ging zur Wohnung seiner Ex. «Hilfe, er hat meine Tochter», hörte eine Nachbarin die Mutter schreien. Auf der Strasse schoss der Geiselnehmer zweimal in die Luft und fuhr mit dem gemieteten Auto und der Tochter zum Flughafen. Um 20.03 Uhr durchbrach er den Sicherheitszaun des Flughafens und parkierte das Auto neben einer Maschine der Turkish Airlines. Salman E. wählte den Notruf und sagte auf Türkisch, er wolle mit seiner Tochter in die Türkei geflogen werden. Und: Er habe Sprengstoff bei sich. 

Die Beamten befürchteten das Schlimmste und rückten zum Grosseinsatz aus. Später stellt sich heraus, dass er keinen Sprengstoff bei sich hatte, sondern mit Alufolie ein Buch um sich gebunden hatte. 920 Beamte waren am Samstag im Einsatz und verhandelten 18 Stunden mit Salman E. – bis er verstand, dass er sich in einer Sackgasse befand. Ermittler sind mittlerweile sicher, dass es sich um keine spontane Aktion handelte. Sie gehen davon aus, dass Salman E. der Welt zeigen wollte, dass er ungerecht behandelt worden ist. (jwg)

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