Waffenexperte erklärt die Tücken einer Geiselnahme
«Es bringt nichts, wenn der Täter irgendwo am Körper getroffen wird»

Ein Vater hielt seine Tochter am Flughafen Hamburg seit Samstagabend als Geisel. Die Polizei verhandelte über 18 Stunden lang mit ihm. Am Sonntag konnte das Kind endlich befreit werden. Ein Waffenexperte erklärt, was Geiselnahmen für die Polizei so schwierig macht.
Publiziert: 05.11.2023 um 15:15 Uhr
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Aktualisiert: 05.11.2023 um 16:27 Uhr

Die Lage am Hamburger Flughafen war sehr angespannt. 18 Stunden lang hielt ein Türke (35) seine Tochter (4) in einem Auto auf dem Flughafen-Vorfeld als Geisel. Nun wurde bekannt gegeben: Die Geiselnahme wurde nach 18 Stunden beendet. Der Mann, der sein Kind festhielt, wurde festgenommen.

Der Vorfall schockierte auch das Netz. Viele X-User fragten sich, warum die Präzisionsschützen des Sondereinsatzkommandos den Täter nicht ausser Gefecht gesetzt haben. Lars Winkelsdorf (46), deutscher Waffenexperte und Journalist, führt auf der Plattform aus, wie heikel die Polizeiarbeit bei einer Geiselnahme ist und welche technischen Hürden sich stellen.

In Hamburg spielte sich seit Samstagabend ein Geisel-Drama ab. Ein Türke hielt seine vierjährige Tochter auf dem Vorfeld des Flughafen Hamburg als Geisel.
Foto: imago/Andre Lenthe
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«Es bringt nichts für eine Geisel, wenn der Täter irgendwo am Körper getroffen wird.» In aller Regel könne er dann immer noch handeln, das heisst den Abzug betätigen oder andere Vorrichtungen planen, erklärt Winkelsdorf. Die Polizei müsse also sichergehen, dass eine Aktion, die volle Handlungsunfähigkeit des Täters herbeiführt. Konkret: Ein einziger Schuss, der jede Möglichkeit zu einer weiteren Handlung ausschliesst. Dies sei aber nur das Mittel allerletzter Wahl.

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In Hamburg wurde auf Verhandlungen gesetzt

Im Fall Hamburg setzte die Polizei auf eine Verhandlungslösung. Es habe Gespräche mit dem Mann gegeben, was als positiv bewertet wurde. Der Verhandlungsgruppe ist es nach 18 Stunden offenbar gelungen, ein Vertrauensverhältnis zu dem 35-Jährigen aufzubauen und ihn zur Aufgabe zu bewegen. Es habe keine Geldforderung des Mannes gegeben, sagte Polizeisprecherin Sandra Levgrün der Nachrichtenagentur dpa am Flughafen.

Laut dem amerikanischen Amt für Justizprogramme, das den Umgang mit Geiselsituationen genau untersucht und kategorisiert hat, müsse das oberste Prinzip immer die Rettung von Menschenleben sein. Zeit ist der wichtigste Faktor bei der Bewältigung einer Geiselsituation. Die Verhandlungsführer müssen langsam eine Kommunikation mit dem Geiselnehmer aufbauen. Dies ist offensichtlich auch im Fall Hamburg geschehen.

«Taktische Gewalt ist nie die erste Wahl»

Die meisten Experten sind sich einig, dass taktische Gewalt die letzte Option in einer Geiselsituation ist, vorausgesetzt, dass keine der Geiseln verletzt wurde. Je länger eine Geiselnahme andauert, desto grösser wird oft der Druck, das Gewaltkontinuum zu erhöhen. Und selbst dann sei laut Winkelsdorf die Hürde für einen Präzisionsschuss enorm hoch.

«Der erste Schuss bei einem Präzisionsgewehr geht woanders hin, weil der Lauf noch kalt ist. Durch die Erwärmung haben dann die folgenden Schüsse einen anderen Treffpunkt.» Also müsse immer mit kalter Waffe trainiert werden. Das ständige Abkühlen führe dazu, dass solche präzisen Schüsse nur wenig trainiert werden können.

Eine weitere Hürde sei die Beweglichkeit eines Ziels, die man immer einkalkulieren – und das Ziel deshalb aus verschiedenen Winkeln umstellen muss. Weil dabei extrem viel schiefgehen kann, sei diese Lösung niemals die erste Wahl, schreibt Winkelsdorf. «Von daher dürfte klar sein, wieso das entsprechend dauerte in Hamburg und wieso man das nicht einfach macht.» Dank professionellem Umgang und umsichtigem Vorgehen ist es der Polizei gelungen, die Geiselnahme ohne Verletzte zu beenden. (ene)

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