Erste Verteidigungslinie durchbrochen, nach der zweiten kommt nichts mehr
Bald heissts «Freie Bahn» für die ukrainische Gegenoffensive

Die erste russische Verteidigungslinie in der Ostukraine ist überwunden. Jetzt nehmen die Ukrainer die zweite ins Visier – danach könnten sie den grossen Durchbruch schaffen.
Publiziert: 06.09.2023 um 12:07 Uhr
|
Aktualisiert: 06.09.2023 um 13:47 Uhr
BlickMitarbeiter06.JPG
Chiara SchlenzAusland-Redaktorin

Die ukrainische Armee hat es geschafft: Die ersten Panzerabwehrgräben und Drachenzähne wurden letzte Woche überwunden. Damit ist die erste Verteidigungslinie der Russen, die Surowikin-Linie, durchbrochen – und der schwerste Teil der ukrainischen Gegenoffensive geschafft. «Ich glaube, wir erleben gerade den entscheidenden Moment der Offensive», schreibt Militär-Expertin Brynn Tannehill am Dienstag auf Twitter.

Jetzt sind die ukrainischen Truppen nur noch wenige Kilometer von der letzten befestigten Verteidigungslinie der Russen entfernt, nahe der kleinen Ortschaft Romaniwske in der Oblast Saporischschja. Das zeigen Daten des US-Thinktanks Institute for the Study of War (ISW) vom Dienstag. Die Ukrainer stehen nach drei Monaten also unmittelbar vor einem grossen Durchbruch.

«Freie Bahn» für die ukrainische Gegenoffensive

Denn danach heisst es für die ukrainischen Soldaten: freie Bahn. Und das in alle Richtungen. Der ukrainische Brigadegeneral Oleksandr Tarnawskij erklärte am Sonntag gegenüber dem britischen «The Guardian»: «Russland hat die grösste Anstrengung in den Aufbau der ersten Linie gesteckt, und von dort aus immer weniger.» Alle Verteidigungslinien, die nach Romaniwske folgen, seien teilweise gar nicht mehr besetzt und somit leichter zu durchbrechen. Denn der Kreml habe nicht damit gerechnet, dass den ukrainischen Streitkräften der Durchbruch bei Robotyne gelingen wird.

Lange haben Erfolge bei der ukrainischen Gegenoffensive auf sich warten lassen.
Foto: Global Images Ukraine via Getty Images
1/7

Für Tannehill ist klar: «Sobald die Ukraine diesen Punkt erreicht hat, ist es fast egal, wo sie als Nächstes zuschlagen will.» Laut ihr wollen die Ukrainer in erster Linie die russischen Nachschubs- und Kommunikationslinien zwischen Rostow, Cherson, Saporischschja und der Krim durchbrechen. «Dann hat das ukrainische Militär mehr Möglichkeiten, nach Süden vorzudringen und dort anzugreifen, wo Russland am schwächsten aufgestellt ist.»

Entsprechend nervös ist Russland – und hat vergangene Woche die 76. Luftangriffsdivision der Garde von der Ostfront um Klischiwka abgezogen, um das Gebiet um Robotyne und Verbove zu verstärken. Die 76. Brigade sind mit die besten Truppen, die sie haben. Zudem sind sie gefürchtet: Die Einheit war an den Massakern von Butscha beteiligt und hat auch monatelange Kämpfe um Bachmut erlebt. Dass Russland eine seiner wenigen verbliebenen Einheiten einsetzt, die zu echten Gegenangriffen fähig ist, sagt viel aus.

Diese zwei Faktoren erschweren einen Erfolg

Trotzdem scheinen die Ukrainer kaum zu stoppen zu sein. Doch eben nur fast. Zwei Umstände könnten den ukrainischen Einheiten an der Front einen Strich durch die Rechnung machen: russische Minen und das Wetter.

Laut dem US-Magazin «Forbes» vervierfachten die Russen in der letzten Woche die Tiefe ihrer Verteidigungsminenfelder von 120 auf 500 Meter, und erhöhten auch die Minendichte innerhalb der erweiterten Felder, als sie bemerkten, wie schnell die Ukrainer vorangekommen sind. Die Ukrainer werden also entlang mehrerer Achsen auf Minenfelder stossen, die noch schwerer zu räumen sind als jene, die sie bisher überwunden haben. Und das könnte sie ausbremsen. Zudem ist der frühe Herbst in der Ukraine sehr feucht, es regnet oft. Das führt dazu, dass der Boden aufgeweicht und gepanzerte Fahrzeugen und schwere Artillerie schwieriger zu manövrieren sind.

Trotzdem ist sich die Militär-Expertin Tannehill in ihrem Tweet sicher: «Ein erfolgreicher Abschluss der Gegenoffensive ist schwierig, jetzt aber nicht mehr unmöglich.»

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?
Liebe Leserin, Lieber Leser
Der Kommentarbereich von Blick+-Artikeln ist unseren Nutzern mit Abo vorbehalten. Melde dich bitte an, falls du ein Abo hast. Noch kein Blick+-Abo? Finde unsere Angebote hier:
Hast du bereits ein Abo?