Russland gehen die Kinder aus – Abgeordneter hat kuriose Forderung
Frauen aus dem Knast holen – damit sie Nachwuchs gebären

Russlands Geburtenrate sinkt dramatisch. Die Lösung der Politik: Frauen wird der Zugang zu Abtreibungen erschwert. Ein Abgeordneter der Staatsduma hält das für keine gute Idee, dafür will er Frauen aus dem Knast lassen, wenn sie Kinder bekommen.
Publiziert: 21.11.2023 um 13:31 Uhr
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Aktualisiert: 21.11.2023 um 14:28 Uhr
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Jenny WagnerRedaktorin News

Kinder sind die Kämpfer von morgen, deshalb braucht Russland möglichst viele davon. Während die Schülerinnen und Schüler bereits auf Krieg getrimmt werden und lernen, mit Waffen und Drohnen umzugehen, soll auch die Geburtenrate erhöht werden. Denn: Russland steht wegen des Kriegs in der Ukraine vor einer demografischen Katastrophe. Über 300'000 Soldaten sollen bereits an der Front gefallen sein. Viele Frauen sind zu Witwen geworden – und immer weniger Russinnen werden schwanger.

Laut der russischen Statistikbehörde Rossstat ist die Bevölkerung allein zwischen Januar und Mai dieses Jahres um 240'000 Menschen geschrumpft. Russland leidet bereits das fünfte Jahr in Folge unter einem Bevölkerungsrückgang – der Krieg hat die Situation drastisch verschlimmert. Der russische Präsident Wladimir Putin (71) fordert Lösungen. 

Das orthodoxe Oberhaupt Russlands, Patriarch Kyrill (77), kämpft laut BBC Russia um die «Erhaltung des Volkes». Mit Unterstützung einiger Abgeordneten fordert er ein Verbot von Abtreibungen in Privatkliniken. Der Patriarch betont, dass der Gesetzesvorschlag im Einklang mit den Bürgern stehe, «die sich der Notwendigkeit bewusst sind». Er nennt keine Quellen. Im November räumte Putin öffentlich ein, dass «das Problem der Abtreibung akut» sei. 

In Russland werden immer weniger Kinder geboren.
Foto: keystone-sda.ch
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Zahl der Abtreibungen in 7 Jahren halbiert

In einigen Regionen ist das Abtreibungsverbot bereits gang und gäbe. Bewohner der annektierten Krim berichten, dass Kliniken keine Abtreibungen mehr durchführen. In manchen Gegenden brauchen Frauen, die die Schwangerschaft beenden wollen, eine Erlaubnis vom Priester, schreibt AP. Und: Tabletten zum Schwangerschaftsabbruch werden nur noch von Kliniken unter enormen bürokratischen Aufwand ausgegeben. Auch für die Pille danach gelten strengen Vorschriften. 

Wurden laut dem russischen Gesundheitsministerium noch 2017 über 600'000 Abtreibungen durchgeführt, waren es 2022 nur noch 300'000 – davon waren 120'000 medizinisch notwendig. Die russische Republik Mordwinien führte Geldstrafen ein, wenn Frauen zu einer Abtreibung geraten wird. Bis zu 200'000 Rubel (etwa 2000 Franken) Strafe drohen Einrichtungen, die Abtreibungen durchführen. Und: Nur schon die Aufklärung darüber kann bestraft werden.

Inhaftierte Frauen könnten Kinder bekommen

Nicht nur auf der Krim wird Frauen das Recht auf Selbstbestimmung verwehrt. In der Republik Tatarstan und in den Oblasten Tscheljabinsk sowie Kursk sollen keine Abtreibungen mehr in Privatkliniken angeboten werden. Das Problem: In öffentlichen Kliniken werden die Frauen einer intensiven Befragung unterzogen. «Wir beteiligen uns aktiv an der Rettung jedes Kindes», sagt der stellvertretende Gouverneur der Region Kursk, Andrej Belostozkij, zur Zeitung «Kursk». Manche öffentlichen Kliniken führen auf eigene Initiative hin keine Abtreibungen durch. «Jedes gerettete Kind ist ein Schatz des Staates», erklärt Wladimir Pawlowskij, Chefarzt des Spitals Atlant gegenüber der lokalen Zeitung. Man habe deshalb ein Verbot für Abtreibungen eingeführt. 

Von den Verboten hält der Duma-Abgeordnete Walerij Selesnjow nicht so viel. Das Problem mit der tiefen Geburtenrate will er mit einem anderen – äusserst merkwürdigen – Vorschlag angehen. Selesnjow sieht Frauen in Gefängnissen als Lösung an. Auf Telegram schreibt er, dass etwa 45'000 Frauen wegen «wirtschaftlicher, kleiner» Vergehen Haftstrafen in Russland verbüssen. 

«Viele dieser Frauen sind in der Lage, Kinder zu gebären», schreibt er in seinem Post. Sein Vorschlag: Die Knast-Frauen sollen die Haftstrafe unterbrechen dürfen. Sollte die Frau in dieser Zeit schwanger werden, könne man die Gefängnisstrafe ganz erlassen.

Sein Vorschlag stösst bei den Mitgliedern des russischen Menschenrechtsrats auf Kritik. «Diese Idee ist gelinde gesagt merkwürdig», sagt Ewa Merkatschjowa gegenüber «News.ru». Sie weist daraufhin, dass keiner an die Folgen für die Frauen und die Kinder denkt. «Während dieses 'Urlaubs' muss sie schnell einen Partner finden. Wer kann in dieser Zeit gefunden werden? Wie soll das gehen? Das kommt mir verrückt vor.» Auch stellt sie infrage, ob dem Kind unter solchen Umständen eine angemessene Erziehung und Fürsorge gegeben werden könne.

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