Demonstrationen im Iran eskalieren
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Nach Tod von Mahsa Amini:Demonstrationen im Iran eskalieren

Mindestens 35 Tote
Massenproteste im Iran – junge Frauen bezahlen mit ihrem Leben

Die Massenproteste nach dem Tod von Mahsa Amini gehen weiter. Es herrscht Chaos auf den Strassen und die Zahl der Todesopfer steigt. Unter ihnen befinden sich mehrere junge Frauen, die gegen das Regime demonstriert haben.
Publiziert: 24.09.2022 um 13:37 Uhr
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Aktualisiert: 24.09.2022 um 16:27 Uhr

Der Tod von Mahsa Amini (†22) löste eine Welle des Widerstands im Iran aus: Tausende Menschen zogen auf die Strasse, um gegen das islamische Regime zu demonstrieren. Auch in der Nacht auf Samstag sollen weitere Proteste getobt haben. Diese Proteste fordern nun immer mehr Todesopfer.

Unter den Verstorbenen befinden sich gemäss Berichten auch junge Frauen. Hananeh K.* (23) sei von iranischen Sicherheitskräften in der Hafenstadt Nouschahr erschossen worden, als sie an einer Demonstration teilnahm. Auch Ghazaleh C.* (32) sei von der Polizei getötet worden. Gemäss einer iranischen Journalistin wurde ihr in den Kopf geschossen. Ihre Familie sei am Boden zerstört. In Kermanschah, einer Stadt an der Grenze zum Irak, sei Minu M.* von Sicherheitskräften getötet worden. Sie war Mutter von zwei Kindern.

Staatsmedien bestätigen 35 Tote

Laut Berichten iranischer Staatsmedien sind inzwischen 35 Menschen getötet worden. «Die Zahl der Todesopfer bei den jüngsten Unruhen im Land ist auf 35 gestiegen», berichtete die mit dem Sportministerium verbundene Nachrichtenagentur Borna am Freitagabend unter Berufung auf das Staatsfernsehen. Bisher hatten die iranischen Behörden die Zahl der Toten offiziell mit 17 angegeben.

Ein Todesopfer der Proteste: Hananeh K.* (23) sei von iranischen Sicherheitskräften in der Hafenstadt Nouschahr erschossen worden.
Foto: Twitter
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Es kursieren allerdings auch andere Zahlen: Bei der gewaltsamen Niederschlagung der Demonstrationen wurden nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Iran Human Rights (IHR) mit Sitz in Oslo bis Freitag mindestens 50 Menschen getötet. Am Samstag geben die iranischen Behörden bekannt, dass man keine neuen Opferzahlen bekannt geben werde – man könne noch keine verlässlichen Angaben machen.

Demonstranten drängen Polizei zurück

Derweil halten die Massenproteste das Land weiterhin in Atem. In den sozialen Medien kursieren Videos von gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und den Demonstranten. Auf Twitter teilt ein iranischer Journalist ein Video, in dem die Verbrennung einer Statue von Ali Chamenei (83) zu sehen ist. Als «Oberster Führer» ist Chamenei das politische und religiöse Oberhaupt des Landes. Die Statue befinde sich in Chameneis Geburtsstadt Maschhad.

Derweil verbreiten sich auch Meldungen, gemäss denen die Demonstranten die Polizei zurückgedrängt haben sollen. In der Stadt Oschnaviyeh im Nordwesten des Landes gebe es keine Spur mehr von den Polizeibeamten oder anderen staatlichen Sicherheitskräften. «Oschnaviyeh ist nun vollständig unter der Kontrolle der Demonstranten», schreibt ein iranischer Journalist auf Twitter.

Über 700 Festnahmen im Norden des Landes

Bei Protestdemonstrationen im Norden des Landes sind nach Angaben des örtlichen Polizeichefs mehr als 700 Menschen festgenommen worden. «Wir haben 739 Krawallmacher, unter ihnen auch 60 Frauen, festgenommen und inhaftiert», sagte der Polizeichef der Provinz Gilan, Asisiollah Maleki, am Samstag. Bei den Verhaftungen seien auch zahlreiche Waffen, Munition und Sprengstoffe sichergestellt worden, behauptete der Polizeichef nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Irna.

Die verhafteten Demonstranten sollen Maleki zufolge für die Verletzung von mehr als 100 Polizisten sowie Beschädigungen an öffentlichen Einrichtungen verantwortlich sein. Die Gefährdung der Sicherheit der Provinz Gilan sei für die örtliche Polizei eine rote Linie, daher werde sie bei den Protesten konsequent durchgreifen, sagte der Polizeichef.

Geheimdienst will Bombenanschläge verhindert haben

Der iranische Geheimdienst hat eigenen Angaben zufolge bei den Protestdemonstrationen mehrere Bombenanschläge vereitelt. Die Anschläge seien von Monarchie-Anhängern und Mitgliedern der Volksmudschaheddin in der Stadt Täbris im Nordwesten des Landes geplant worden, heisst es in einem Geheimdienstbericht laut der Nachrichtenagentur Mehr am Samstag. Die Tatverdächtigen konnten demnach festgenommen werden.

Der Iran behauptet, dass die Demonstrationen vom Ausland und iranischen Exil-Gruppen gesteuert würden, um die das Land zu schwächen oder gar die Regierung zu stürzen. Der Fall Amini sei daher nur eine Ausrede. «Proteste ja, Unruhen nein», sagte Präsident Ebrahim Raisi (61). Er werde nicht zulassen, dass Krawallmacher und «vom Ausland bezahlte Söldner» die Sicherheit des Landes gefährdeten. Daher sollten Polizei, Armee, Revolutionsgarden und auch die Justizbehörde konsequent durchgreifen.

Präsident Raisi lobt Gegendemonstranten

Anhänger der Regierung waren am Freitagnachmittag für die Kopftuchpflicht und gegen die Massenproteste auf die Strasse gegangen. Sie versammelten sich nach dem Freitagsgebet in den Städten des Landes und haben gemäss Staatsmedien dem obersten Führer Chamenei Gehorsam geschworen.

Präsident Raisi ist voll des Lobes für die Gegendemonstranten. Es seien schöne Szenen der Macht und des Sieges der Islamischen Republik. Denjenigen, die gegen das Regime rebellieren, drohte er hingegen: «Sie müssen wissen, dass wir auf keinen Fall zulassen werden, dass die Sicherheit des Landes und des Volkes gefährdet wird.»

Internet lahmgelegt – US-Firmen sollen eingreifen

Das Internet im Iran ist massiv eingeschränkt, und insbesondere mobile Netzwerke sind weitgehend abgeschaltet. Auch Instagram als eines der letzten freien sozialen Netzwerke wurde gesperrt. Das erschwere es den Demonstranten, sich untereinander zu vernetzen.

Die US-Regierung will den Menschen im Iran besseren Zugang zum Internet und zu unabhängigen Nachrichten ermöglichen. Amerikanischen IT-Firmen sei es künftig erlaubt, ihre Geschäftstätigkeit im Iran auszuweiten, teilte das Finanzministerium am Freitag in Washington mit. Dafür seien bestehende Beschränkungen teilweise aufgehoben worden. Eine aktualisierte Genehmigung ermöglicht es den Firmen demnach, im Iran wieder mehr Online-Dienste anzubieten – darunter zum Beispiel soziale Medien, Videokonferenz-Software und Cloud-Dienste.

Mit der Massnahme solle der «freie Informationsfluss und der Zugang zu faktenbasierten Informationen für die Menschen im Iran» erweitert werden, teilte US-Aussenminister Antony Blinken mit. «Diese Schritte werden dazu beitragen, den Bemühungen der iranischen Regierung, ihre Bürger zu überwachen und zu zensieren, entgegenzuwirken.» US-Sanktionen, die bereits 2014 gegen den Iran verhängt worden waren, hatten bislang verhindert, dass IT-Firmen ihre Dienste in dem Land vollumfänglich anbieten konnten.

Eine Festnahme mit tödlichem Ende

Warum folgten auf den Tod der 22-jährigen Mahsa Amini derart immense Protestwellen? Sie war in der Hauptstadt Teheran von der Sittenpolizei festgenommen worden, weil sie das islamische Kopftuch nicht den strikten Vorschriften entsprechend getragen hatte. Offenbar schauten unter ihrem Hidschab Haarsträhnen hervor.

Was genau mit Amini nach ihrer Festnahme geschah, ist unklar. Jedenfalls fiel sie ins Koma und starb am 16. September in einem Krankenhaus. Kritiker werfen der Sittenpolizei vor, Gewalt angewendet zu haben. Menschenrechtsaktivisten zufolge erlitt die junge Frau einen tödlichen Schlag auf den Kopf. Die Polizei weist die Vorwürfe zurück. Seitdem demonstrieren landesweit Hunderttausende Menschen gegen den repressiven Kurs der Regierung.

Zuletzt bekräftigte der iranische Innenminister Ahmad Wahidi (64) die Aussagen der Polizei: «Die medizinischen Untersuchungen und jene der Gerichtsmedizin zeigen, dass es weder Schläge noch einen Schädelbruch gegeben hat», sagte er laut der Nachrichtenagentur Irna am Samstag.

Die Polizei behauptet, Amini sei wegen eines Herzfehlers ins Koma gefallen und gestorben. Aminis Vater kritisierte den Bericht der Gerichtsmedizin vehement. Seine Tochter habe keinerlei Herzprobleme gehabt und könne daher auch nicht an Herzversagen gestorben sein.

Weltweite Demonstrationen

In mehreren Städten in Europa und Nordamerika solidarisierten sich Menschen mit den Protesten im Iran. Vielerorts trauert man um die verstorbene Mahsa Amini. Am Samstagnachmittag versammelten sich auch rund 300 Personen in der Stadt Zürich beim Stauffacher, um Amini zu gedenken. (SDA/AFP/bab)

* Namen bekannt

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