Heftige Demos nach Tod einer 22-Jährigen
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Proteste gegen Irans Regime:Heftige Demos nach Tod einer 22-Jährigen

Tod einer jungen Frau löst im Iran Massenproteste aus
Auf den Strassen brennen die Schleier

Der Tod einer jungen Iranerin hat schwere Proteste gegen das islamische Regime ausgelöst. Der Aufstand ist heftiger als sonst. Aber ob es zum Sturz der Regierung reicht?
Publiziert: 23.09.2022 um 00:19 Uhr
Guido Felder

Im Iran treibt der Tod einer jungen Frau Tausende Menschen auf die Strasse, um gegen das Regime zu demonstrieren. Besonders mutige Frauen reissen sich ihre Bedeckung vom Kopf, obwohl sie dafür mit Strafen rechnen müssen.

Auslöser der Proteste ist das Schicksal der 22-jährigen Mahsa Amini, die am 13. September während eines Familienbesuchs in Teheran von der Sitten- und Religionspolizei festgenommen worden war. Ihr Vergehen: Sie war «unislamisch» gekleidet. Offenbar lugten unter ihrem Hidschab Haarsträhnen hervor.

Amini starb auf der Polizeiwache, wo man sie über die Kleidervorschriften informieren wollte. Die Todesursache ist unklar. Laut Polizei fiel sie in Ohnmacht und danach ins Koma. Der Sender 1500tasvir, der über Menschenrechtsverstösse informiert, berichtete hingegen, dass Amini einen Schlag auf den Kopf erhalten habe.

Protestiert gegen die Unterdrückung der Musliminnen: Ensaf Haidar, die Ehefrau des Saudi-Bloggers Raif Badawi, putzt sich mit einem Hidschab ihre High Heels.
Foto: Zvg
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Blogger-Ehefrau poliert ihre Schuhe

Aus Wut über das Vorgehen der Polizei gehen zurzeit in 30 Städten – so auch in Aminis Heimatprovinz Kurdistan – Menschen auf die Strasse und schreien Parolen wie «Nieder mit dem Diktator!». Die Polizei setzt Wasserwerfer und Schlagstöcke ein. Bisher gab es mindestens 17 Tote und Tausende Festnahmen.

Auf Videos, die nicht verifiziert werden konnten, wird auch von Schüssen mit scharfer Munition auf die Protestierenden berichtet. Das Internet ist massiv eingeschränkt, und insbesondere mobile Netzwerke sind weitgehend abgeschaltet. Auch Instagram als eines der letzten freien sozialen Netzwerke wurde gesperrt.

Weltweit solidarisieren sich Frauen mit den Iranerinnen. Gepostet werden Videos, auf denen Frauen ihre Haare abschneiden oder den Hidschab verbrennen.

Auch die Muslimin Ensaf Haidar (37), die Frau des bekannten saudi-arabischen Bloggers Raif Badawi (38), der wegen Regimekritik im Iran zehn Jahre in Haft sass und nun zehn Jahre lang das Land nicht verlassen darf, protestiert auf Instagram mit einem Video. Darin nimmt sie provokativ den Hidschab vom Kopf und putzt damit ihre pinken High Heels. Ihr Kommentar dazu: «In Solidarität mit meiner Schwester Mahsa Amini, die kaltblütig ermordet wurde.»

«Hidschab bedeutet Unterdrückung»

«Was im Iran passiert ist, ist ein abscheuliches Verbrechen», sagt Ensaf Haidar gegenüber Blick. «Und die Person, die dieses Verbrechen zu verantworten hat, ist der oberste Führer. Ich bin schockiert!» Sie habe grossen Respekt vor den Menschen, die sich im Iran auf die Strasse zu gehen getrauten. «Das ist grossartig und inspirierend, mein Herz ist bei ihnen. Aber das kriminelle iranische Regime unterdrückt den Protest brutal.»

Zu ihrem Video sagt sie: «Sie täuschen euch im Westen, wenn sie euch sagen, dass der Hidschab ein Symbol für muslimische Frauen sei. Er ist nichts als ein Symbol für Sklaverei und sexuelle Unterdrückung.»

Ensaf Haidar lebt mit ihren drei Kindern in Kanada und hat 2021 für den sozialdemokratischen und separatistischen Bloc Québécois für die nationalen Wahlen kandidiert. Gereicht hat es nicht, allerdings machte sie in ihrem Wahlkreis das zweitbeste Resultat.

Breiter Protest

Trotz drohenden Strafen kommt es im Iran, der übrigens Russland im Krieg gegen die Ukraine mit Kamikaze-Drohnen beliefert, immer wieder zu Protesten. «Die aktuelle Bewegung dehnt sich landesweit aus und ist breiter als sonst», sagt Nahostexperte Erich Gysling (86) zu Blick. Heute gingen Leute auf die Strasse, die das bisher nie gewagt hätten.

Die massiven Proteste hätten sogar Wirkung gezeigt. «Der als Hardliner bekannte Präsident Ebrahim Raisi bemüht sich um eine Entschärfung der Lage und hat mit den Eltern der verstorbenen Frau telefoniert», sagt Gysling. Es gebe auch Bestrebungen, dass die Sittenpolizei angehalten werde, nicht mehr so hart einzugreifen.

«Diese Bemühungen der Regierung sind zwar bemerkenswert», sagt Gysling. Vom Sturz des Regimes, den viele erhoffen, sei man aber sehr weit entfernt.

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