Ali Safavi vom iranischen Widerstand über den Tod von Präsident Raisi, einem Mann mit Blut an den Händen
«Ein Katalysator für neue Aufstände»

Im Iran sind Präsident Ebrahim Raisi und Aussenminister Hossein Amir-Abdollahian bei einem Helikopterabsturz ums Leben gekommen. Der Verlust schüttelt das Regime gewaltig durcheinander und dürfte beim Volk zu Aufständen führen, meint ein Vertreter des Widerstands.
Publiziert: 20.05.2024 um 14:41 Uhr
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Aktualisiert: 20.05.2024 um 16:21 Uhr
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Guido FelderAusland-Redaktor

Das brutale iranische Regime ist in der Nacht auf Sonntag erschüttert worden. Bei einem Helikopterabsturz in der Provinz Ost-Aserbaidschan haben sowohl Präsident Ebrahim Raisi (†63) als auch Aussenminister Hossein Amir-Abdollahian (†60) ihr Leben verloren. Warum der Helikopter abstürzte, ist noch ungeklärt. Irans Luftwaffe gilt allerdings als sehr veraltet, viele Flugzeuge stammen noch aus der Zeit vor der Islamischen Revolution von 1979.

Der erzkonservative Hardliner Raisi war als Präsident hinter Religionsführer Ajatollah Ali Chamenei (85) die Nummer zwei im Land. Chamenei hat eine fünftägige Staatstrauer angeordnet und zum Gebet aufgerufen – für einen Mann, der viel Blut an den Händen hat!

Doch während die Erschütterung im Regime gross ist, dürfte die Trauer im Volk eher klein sein. Denn Raisi galt als Marionette und Handlanger des Regimes. Weil er als früherer Staatsanwalt viele Verhaftungen und Hinrichtungen zu verantworten hatte, haben ihm seine Gegner den Namen «Schlächter von Teheran» verpasst. Sie werfen ihm vor, im Jahr 1988 für den Tod von 30’000 Menschen mitverantwortlich zu sein.

«Der Schlächter von Teheran»: Der verunglückte Ebrahim Raisi soll Zehntausende von Iranern auf dem Gewissen haben.
Foto: Getty Images
Die Maschine stürzte in der iranischen Provinz Ost-Aserbaidschan ab.
Foto: IMAGO/ABACAPRESS
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In den vergangenen Monaten sorgte Raisi auch für Schlagzeilen, weil er mit harter Hand den Hidschab-Zwang durchsetzte. Im Herbst 2022 war die 22-jährige Mahsa Amini angeblich wegen schlecht sitzenden Kopftuchs verhaftet worden. Nach ihrem Tod im Polizeigewahrsam brachen die schwersten Proteste seit Jahrzehnten aus.

Regierte mit harter Hand

Raisis Tod bedeutet für das Regime einen herben Verlust. Maryam Rajavi (70), Präsidentin des iranischen Widerstands, dem in Paris ansässigen National Council of Resistance of Iran (NCRI), schreibt in einer Mitteilung, Raisis Tod stelle «einen monumentalen und nicht wieder gutzumachenden strategischen Schlag für den obersten Führer der Mullahs, Ali Chamenei, und das gesamte Regime dar, das für seine Hinrichtungen und Massaker berüchtigt ist».

Ihr Mitarbeiter Ali Safavi (70) erklärt gegenüber Blick auf Anfrage: «Raisis Tod kommt in einer Zeit, in der das iranische Regime bereits mit zahlreichen internen und externen Krisen zu kämpfen hat und daher äusserst verwundbar ist. Der Verlust Raisis ist daher ein potenzieller Destabilisierungsfaktor.»

Mit der Ernennung Raisis zum Präsidenten und Nachfolger des gemässigten Hassan Rohani (75) im Jahre 2021 wollte Chamenei das Regime stärken, um sowohl internem als auch externem Druck standhalten zu können. «Raisi galt als idealer Kandidat, um Andersdenkende auszuschalten und absoluten Gehorsam gegenüber Chameneis Vision zu gewährleisten», sagt Ali Safavi. Deshalb dürfte sein Verlust für den religiösen Führer schmerzhaft sein.

Auch Aussenminister tot

Auch der ebenfalls verunglückte Aussenminister Hossein Amir-Abdollahian galt als Handlanger des Regimes. Er war für den Einfluss der Revolutionsgarden in andern Ländern verantwortlich. Er pflegte enge Beziehungen zu Qassem Soleimani (†62), den der damalige US-Präsident Donald Trump (77) im Jahre 2020 mit einer Drohne töten liess. Soleimani war Chef der Quds-Einheit, die für Spezialeinsätze ausserhalb des Irans zuständig ist.

Amir-Abdollahian spielte eine Schlüsselrolle bei der Unterstützung militanter Gruppen wie der Hisbollah im Libanon. Ali Safavi: «Seine diplomatischen Bemühungen zielten häufig darauf ab, diese Gruppen zu stärken, Waffengeschäfte abzuschliessen und logistische Unterstützung zu leisten. Gleichzeitig gelang es ihm, auf der internationalen Bühne den Anschein legitimer Diplomatie zu erwecken.»

Neue Proteste befürchtet

Regimekritiker Ali Safavi ist davon überzeugt, dass das Unglück die Krise im Iran weiter verschärfen wird. Denn Raisis Tod bringe die Gräueltaten von 1988 wieder vermehrt ins Bewusstsein der Iraner. Safavi: «Das Regime befürchtet, dass der Helikopterabsturz zu einem Katalysator für neue Aufstände werden könnte, die an die weit verbreiteten Proteste der vergangenen Jahre erinnern.»

Raisi galt als möglicher Nachfolger von Ajatollah Ali Chamenei. Vizepräsident Mohammad Mokhber (69) muss nun zusammen mit dem Parlamentspräsidenten und dem Justizchef innerhalb 50 Tagen vorgezogene Präsidentschaftswahlen organisieren.

Ali Safavi über die Anforderungen an den neuen Präsidenten: «Das Regime steht vor der Herausforderung, einen geeigneten Nachfolger zu finden, der das gleiche Mass an Gehorsam und Rücksichtslosigkeit an den Tag legen kann wie Raisi und der gleichzeitig die wachsende Unzufriedenheit in der iranischen Bevölkerung in den Griff bekommt.»

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