«Es kommt auf beiden Seiten zu Übertretungen des Völkerrechts»
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7 Fragen zum Machtkampf im Kreml an Russland-Experte Ulrich Schmid
Steht Putin vor dem Sturz?

Im Kreml scheints gewaltig zu brodeln. Präsident Wladimir Putin hat offenbar Berater entlassen. Russland-Experte Ulrich Schmid von der HSG erklärt, wo die Fronten liegen und wie lange Putin noch im Amt bleiben könnte.
Publiziert: 01.04.2022 um 17:14 Uhr
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Aktualisiert: 01.04.2022 um 17:30 Uhr
Guido Felder

Beim russischen Präsidenten Wladimir Putin (69) läufts gar nicht gut. Im selber angezettelten Krieg in der Ukraine kommt er nicht wie erwartet voran, zudem scheint er auch gewaltige Probleme im Kreml zu haben. So sollen ihn seine Berater falsch über den Kriegsverlauf informiert haben.

US-Präsident Joe Biden (79) sagte am Donnerstag: «Es gibt Anzeichen dafür, dass er einige seiner Berater entlassen oder unter Hausarrest gestellt hat.» Es gebe aber «nicht so viele handfeste Beweise». Biden weiter über Putin: «Er scheint sich selbst zu isolieren.»

Wie liegen die Fronten im Kreml? Wer spielt welche Rolle? Blick bat den Russland-Experten Ulrich Schmid (56) von der HSG in St. Gallen um eine Einschätzung.

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Wie liegen die Fronten im Kreml?

«Es gibt die Falken: Das sind der Chef des Inlandgeheimdiensts, Alexander Bortnikow (70), und der Sekretär des Sicherheitsrats, Nikolaj Patruschew (70), beides ideologische Hardliner. Dann gibt es die Tauben: Das ist zurzeit der Chef des Auslandsgeheimdienstes Sergej Naryschkin (67), der am 21. Februar in einer Sitzung des Sicherheitsrats von Putin öffentlich abgekanzelt wurde. Und schliesslich die Ausführungsgehilfen: Aussenminister Lawrow (72) und Verteidigungsminister Schoigu (66) gehören zu den loyalen Putin-Anhängern, sie führen seine Anweisungen kritiklos aus.»

Wer im Kreml kritisiert den Krieg am meisten?

«Das sind vor allem die sogenannten liberalen Insider, die eine Modernisierung Russlands anstreben. Früher gehörte Dmitri Medwedew (56) dazu, der aber mittlerweile ganz auf Putins Kurs eingeschwenkt ist. Der wichtigste Vertreter ist Premierminister Michail Mischustin (56), der allerdings möglicherweise genau wegen seines wirtschaftsfreundlichen Kurses in der Ukrainepolitik des Kremls marginalisiert wird.»

Warum engagiert sich Oligarch Roman Abramowitsch (55) bei Verhandlungen?

«Ich denke nicht, dass es ihm nur um seinen persönlichen Reichtum geht. Er sieht wohl deutlich, dass Putins aktueller Kurs für Russland katastrophal ist, deshalb möchte er seinen Einfluss geltend machen. Der Kreml beobachtet Abramowitschs Rolle mit Argwohn und möchte ihm keine ernsthaften Kompetenzen einräumen. Abramowitschs Einfluss ist wohl eher beschränkt, er versucht im Hintergrund zu agieren.»

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Welche Rolle spielt Putins Verhandlungsleiter Wladimir Medinski (51)?

«Der ehemalige Kulturminister ist ganz auf dem geschichtsphilosophischen Kurs von Putin. Wie Putin glaubt er an die historische Grösse Russlands und ist sehr antiwestlich eingestellt. Trotzdem scheint er im Moment als Verhandlungsleiter eine pragmatische Position einzunehmen.»

Wie lange stehen die Oligarchen noch hinter Putin?

«Putin hat mit Kriegsbeginn am 24. Februar den ‹Elitenvertrag› gebrochen. Bisher gingen die loyalen Eliten davon aus, dass Putin ihnen die Anhäufung von Macht und Reichtum ermöglicht. Das ist nun alles nicht mehr der Fall. Viele Profiteure des Systems Putin in wirtschaftlichen und politischen Spitzenpositionen sind zutiefst verunsichert. Allerdings können sie Putin die Gefolgschaft nicht einfach aufkünden, weil sie sich seit Jahren an das herrschende System angepasst haben und nicht mehr über alternative Optionen verfügen.»

Wie gross ist die Chance eines Putsches?

«Ein Sturz erscheint eher unwahrscheinlich – es ist kein Verschwörerzirkel in Sicht. Möglicherweise wird Putin 2024 nicht mehr als Präsidentschaftskandidat antreten, dann wird aber wahrscheinlich jemand aus dem inneren Machtzirkel nachrücken, der nicht wirklich einen anderen politischen Kurs verfolgt.»

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Könnte der tschetschenische Machthaber Ramsan Kadyrow (45) Putin ablösen?

«Kadyrow weiss genau, dass Putin der Garant für sein politisches Überleben ist. Deshalb wird er alles daran setzen, Putins Position zu stärken und den russischen Angriff in der Ukraine zu unterstützen. Es ist kaum möglich, dass Kadyrow russischer Präsident werden könnte. Er führt die Teilrepublik Tschetschenien mit eiserner Hand – dieses archaische Herrschaftsmodell wäre für Moskau und den europäischen Teil Russlands unvorstellbar.»

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