Hier wird Alexander Schallenberg als Ösi-Kanzler vereidigt
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Kurz-Nachfolger schon im Amt:Hier wird Alexander Schallenberg als Ösi-Kanzler vereidigt

Polit-Skandal in Österreich
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Eine Korruptionsaffäre von riesigem Ausmass erschüttert Österreich. Sebastian Kurz soll die öffentliche Meinung manipuliert haben. Mittlerweile ist er zurückgetreten. Alexander Schallenberg ist der neue Kanzler. Blick informiert Sie im Ticker live.
Publiziert: 07.10.2021 um 12:09 Uhr
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Aktualisiert: 12.10.2021 um 12:24 Uhr

Der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz wird verdächtigt, mit gefälschten Studien die öffentliche Meinung gekauft zu haben. Bezahlt durch Steuergelder. Ob Kurz zurücktreten muss, ist unsicherer denn je. In jedem Fall steht Österreich vor einer Regierungskrise. Blick beantwortet die fünf drängendsten Fragen zum Politik-Skandal.

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Was ist passiert?

Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) Österreichs ermittelt gegen Bundeskanzler Sebastian Kurz und neun weitere Beschuldigte wegen Verdachts auf Untreue, Bestechung und Bestechlichkeit. Am Mittwoch haben Ermittler das Kanzleramt, Teile des Finanzministeriums und die Zentrale der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) durchsucht. Sie suchten Mails aus der Zeit seit Anfang 2016 sowie Datenträger, Server, Handys und Laptops.

Worum geht es genau?

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Das Team von Kurz soll sich seit 2016 und mindestens bis 2018 mit Inseraten in der Mediengruppe «Österreich» positive Berichterstattung erkauft haben, um so den Weg von Kurz an die Parteispitze und ins Kanzleramt zu ebnen. Eine zentrale Rolle dabei sollen Umfragen gespielt haben, deren Zeitpunkt, Fragestellungen und Auswertung vom Team um Kurz beeinflusst worden und von zwei Marktforscherinnen erstellt worden seien.

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Die Umfragen und deren Ergebnisse seien dann im Gratisblatt «Österreich» und auf oe24.at publiziert worden, ohne diese als Anzeige zu deklarieren. Als Gegenleistung sollen über das Finanzministerium Inserate- und andere Gelder an die Mediengruppe geflossen sein. Laut österreichischen Medien sollen sich die Gesamtzahlungen auf rund 1,3 Millionen Franken belaufen. Die Abrechnung sollen über Scheinrechnungen erfolgt sein. Um die Kampagnen abzusprechen, sollen sich die Beteiligten immer wieder über E-Mail und Chats ausgetauscht haben.

Begonnen haben soll alles im Jahr 2016: Die ÖVP war damals Juniorpartner in der Grossen Koalition, die Umfragewerte nicht die besten. Kurz war Aussenminister, wollte aber den ÖVP-Parteichef Reinhold Mitterlehner beerben. In der Situation sollen die Medienmogule Wolfgang und Helmuth Fellner der ÖVP positive Schlagzeilen über Sebastian Kurz angeboten haben, berichtet unter anderem «Falter.at» unter Berufung auf die Anklagebehörde. Als Gegenleistung sollen die engsten Berater von Kurz bei Fellners Medien Inserate gekauft haben, um damit in Österreich eine positive Stimmung für Kurz zu kreieren. Die Rechnungen seien aber nicht mit ÖVP-Geldern bezahlt worden, auf diese hatte Kurz seinerzeit als Aussenminister demnach keinen Zugriff, sondern aus dem Budget des Finanzministeriums.

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Gegen wen wird ermittelt?

Sebastian Kurz. Er soll als damaliger Aussenminister Dreh- und Angelpunkt der Aktion gewesen sein. Sämtliche Massnahmen seien primär in seinem Interesse getätigt worden.

Der Mann, der sich aus der Staatskasse bediente, um die Kampagnen zu bezahlen, soll Thomas Schmid gewesen sein, Generalsekretär im Finanzministerium. Er soll von Kurz mit der Organisation und den Verhandlungen mit der Mediengruppe beauftragt worden sein.

Stefain Steiner (Ex-ÖVP-Generalsekretär); Gerald Fleischmann (zur fraglichen Zeit im Kabinett Kurz); Johannes Frischmann (2014 bis 2017 Pressesprecher im Finanzministerium, später im Kanzleramt). Sie sollen Fragen für die Umfragen in Auftrag gegeben und am verdächtigen Deal mitgewirkt haben.

Sophie Karmasin (damals Familienministerin) und Sabine B.* (beide Marktforscherinnen) sollen die Umfragen fabriziert und geholfen haben, diese zu verbreiten.

Johannes P.*, damals Ministeriumssprecher, soll als Geldbeschaffer fungiert haben.

Die Brüder Wolfgang und Helmuth Fellner. Sie besitzen die Mediengruppe «Österreich», zu der unter anderem das Online-Portal oe24.at gehört. Auf ihren Plattformen wurde die angeblich falsche Berichterstattung verkauft.

Für die Delikte Untreue, Bestechlichkeit und Bestechung gibt es in Österreich Maximalstrafen von je zehn Jahren Haft. Für alle Genannten gilt die Unschuldsvermutung.

Was sagen die Beschuldigten?

Sebastian Kurz weist jegliche Schuld von sich. Im österreichischen Fernsehen sagte er am Mittwoch, es gebe überhaupt kein Indiz dafür, dass er persönlich zum Beispiel in die Beauftragung für ihn günstiger Meinungsumfragen oder in das Schalten von Inseraten verwickelt sei. «All diese Vorwürfe, die es da gibt, richten sich gegen Mitarbeiter des Finanzministeriums.» Dass Umfragen zu seinen Gunsten manipuliert worden seien, sei schon deshalb abwegig, weil Dutzende Umfragen im fraglichen Zeitraum 2016 ganz ähnliche Werte für Parteien und Politiker ergeben hätten. Kurz geriet schon einmal ins Visier der Staatsanwaltschaft – wegen einer möglichen Falschaussage im parlamentarischen «Ibiza»-Untersuchungsausschuss. «Auch diesmal sind es konstruierte Vorwürfe, wieder mit derselben Systematik», sagte Kurz. Den Ermittlern wirft er vor, Chatnachrichten aus dem Zusammenhang zu reissen oder falsch darzustellen.

Auch die Mediengruppe Österreich bestreitet die Vorwürfe und publizierte auf «oe24.at» eine Stellungnahme. Darin heisst es: «Zu keinem Zeitpunkt gab es zwischen der Mediengruppe Österreich und dem Finanzministerium eine Vereinbarung über eine Bezahlung von Umfragen durch Inserate. Tatsächlich sind alle Inseratenzahlungen des Finanzministeriums durch das Transparenzgesetz offengelegt.»

Muss Sebastian Kurz zurücktreten?

Das ist die Gretchenfrage. Er selber schliesst einen Rücktritt aus. Kurz ist überzeugt, «dass sich auch diese Vorwürfe schon bald als falsch herausstellen werden». Doch der Gegenwind wird immer härter. Noch am Mittwoch sagten die Grünen, die mit der ÖVP seit Januar 2020 die Regierungskoalition bilden, man wollte «sehen, was die Ermittlungen der Justiz ergeben». Am Donnerstag wurde ein drohendes Ende der Koalition aber deutlich realistischer. Grünen-Chef und Vizekanzler Werner Kogler (59) sagte: «Wir können nicht zur Tagesordnung übergehen, die Handlungsfähigkeit des Bundeskanzlers ist infrage gestellt.» Man wolle nun die Verantwortlichen aller Parlamentsparteien zu Gesprächen über die weitere Vorgehensweise einladen. «Wir haben eine gemeinsame Verantwortung für unser Land. Wir müssen gemeinsam für Stabilität und Aufklärung sorgen und darum möchte ich parteiübergreifend das weitere Vorgehen beraten», meinte Kogler.

Die Opposition fordert derweil den Rücktritt des Kanzlers. Sie möchte eine Sondersitzung des Nationalrats, vor dem sich Kurz verantworten soll. Sollte Kurz nicht von sich aus handeln, will die FPÖ einen Missbrauchsantrag stellen. «Wenn die Regierung und offensichtlich auch der Bundespräsident handlungsunfähig sind, muss das Parlament die Notbremse ziehen. Der Rücktritt des Bundeskanzlers ist angesichts der aktuellen Entwicklungen unausweichlich», sagte FPÖ-Chef Herbert Kickl.

Bundespräsident Alexander Van der Bellen sagte in einem ersten Statement: «Wir sind heute Zeugen eines doch sehr ungewöhnlichen und schwerwiegenden Vorgangs geworden.» Es sei Aufgabe der Staatsanwaltschaften, Verdachtsmomenten unabhängig vom Ansehen der Personen, nachzugehen. * Name der Redaktion bekannt

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