Zu Besuch in der Betriebszentrale der SBB
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Hier wird der Schaden begrenzt:Zu Besuch in der Betriebszentrale der SBB

Zu Besuch in der Leitzentrale
Die Feuerwehr der SBB

130'000 Pannen gibts jährlich auf dem Schweizer Schienennetz – oft mit Folgen für die Pünktlichkeit der Züge. BLICK hat eine der SBB-Betriebszentralen besucht, wo Tausende Mitarbeiter vom Compi aus versuchen, den Schaden so klein wie möglich zu halten.
Publiziert: 06.08.2019 um 23:37 Uhr
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Aktualisiert: 07.08.2019 um 08:54 Uhr
Konrad Staehelin (Text) und Thomas Meier (Fotos)

Wenn in der Sommerhitze im St. Galler Hinterland eine Bahnschwelle brennt, rückt zwar jemand vor Ort aus und löscht den Brand. Die andere Hälfte der Arbeit macht aber ein Zugverkehrsleiter in Kloten ZH: Gleis am Computer sperren, Züge aufs Nachbargleis umleiten – oder die Strecke temporär ganz zumachen, wenn der Brand zu gross wird.

Alles vom Bürosessel aus, mit Blick aufs Rollfeld des Flughafens Zürich. Willkommen in der Betriebszentrale Ost der Infrastruktur-Abteilung der SBB, untergebracht in ehemaligen Räumen der Flugsicherung Skyguide. Sie ist das Hirn des Bahnverkehrs des Gebiets östlich von Brugg AG bis hin zum Bodensee und Chur. Für die anderen Regionen sind die Kommandoräume in Pollegio TI, Olten SO und Lausanne zuständig.

400 Mitarbeiter sichern Zugverkehr

Liefe alles reibungslos, würde es die 400 Mitarbeiter hier nicht brauchen. Ihr Chef heisst Simon Krüttli (44). «Wir arbeiten in einem der dichtesten, komplexesten Bahnnetze der Welt – da ist es normal, dass man ständig eingreifen muss», sagt er, als er BLICK zum Besuch empfängt.

Wo brennts? In den Kommandoräumen der SBB-Betriebszentrale soll der Schaden eingedämmt werden.
Foto: Thomas Meier
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130'000 Störungen gibt es im Jahr. Krüttli: «Die meisten sind so klein, dass kein Passagier sie mitkriegt.» Das kann ein überfahrenes Tier sein oder eine Türstörung, die gleich wieder behoben werden konnte. «Andere sind dagegen so gross, dass Hunderttausende Passagiere darunter leiden.»

«Und wär weis, was da nit no wär worde drus»

Wer die Aufgabe besser verstehen will, denkt an Mani Matter (†36) und das «Zündhölzli», das ihm auf den Teppich gespickt war und das er glücklicherweise aufhob, bevor es einen Flächenbrand auslöste. «Und wär weis, was da nit no wär worde drus.»

Die Übersetzung für die SBB: Viele der Störungen können massive Verspätungsfolgen haben, wenn sie nicht schnell eingedämmt werden. Zuerst nur auf der Strecke des Vorfalls, danach in dieser Region, am Schluss vielleicht in der ganzen Schweiz oder gar im Ausland. Im Kampf gegen die brennenden Zündhölzli sind die SBB-Kommandoräume die Feuerwehr.

Ein Beispiel: Anfang Juli hatte sich ein Intercity von Lausanne nach St. Gallen bis Zürich eine Verspätung von elf Minuten eingefahren. Die Weisung an den Lokführer: Statt stur den Fahrplan abzuklappern – Wil SG, Uzwil SG, Flawil SG, Gossau SG – solle er diese Haltestellen auslassen und nach St. Gallen durchfahren. Wer dagegen an einer der Zwischenstationen aussteigen wollte, musste in Winterthur ZH umsteigen.

Entscheidung war richtig

«Der Intercity hingegen holte die Verspätung auf und konnte ab St. Gallen pünktlich in Richtung Lausanne abfahren», erklärt Krüttli die Entscheidung. «Wäre der Zug auch auf der Rückfahrt mit Verspätung gefahren, hätten Tausende Personen in Zürich oder weiter Richtung Romandie ihre Anschlüsse verpasst.» Dann hätte eine einzige Verspätung auf das ganze Land übergegriffen – der unerwünschte Flächenbrand.

Man habe zwischen dem Schaden für die paar Dutzend, die in Wil, Uzwil, Flawil oder Gossau hätten aussteigen wollen, und jenem für mehrere Tausend abwägen müssen, sagt Krüttli. «Da ist der Fall klar, nicht?»

Nur einer von 300'000 lässt Stopps aus

Ruedi Elmer (63), einer von Krüttlis Kommandoraum-Leitern, sitzt bei der Arbeit vor einer Wand aus schwarzen Bildschirmen. Darauf bewegen sich farbige Würmchen Pixel für Pixel ihrem Ziel entgegen. Die Bummler sind orange, Schnellzüge rot, Güterzüge blau. «Auch wenn alles gut läuft, haben unsere Leute ständig die Augen auf jedem Zug», erklärt er.

Von Störungen erfährt er in einem separaten Programm, zu dem Hunderte Involvierte schweizweit Zugang haben.

So würde das am fiktiven Beispiel der brennenden Schwelle im St. Gallischen funktionieren: Ein vorbeifahrender Lokführer meldet die Störung. Der ausrückende Mitarbeiter schreibt die Details zum Fall rein. Der Zugverkehrsleiter in Kloten entscheidet, was zu tun ist. Er schreibt seine Entscheidungen ins Programm und koordiniert die Aktionen mit den betroffenen Mitarbeitern, bis die Störung behoben ist.

Nur einer von 300'000 Zügen muss laut den SBB Stopps auslassen. Elmer: «Andere Massnahmen nutzen wir viel häufiger. Zum Beispiel kommt es in unserem Gebiet täglich vor, dass wir vorzeitig wenden.» Das heisst, dass ein Zug – meist eine S-Bahn – nicht bis zur Endstation fährt, um auf der Rückfahrt wieder im Fahrplan zu sein.

«Mich bringt nichts mehr aus der Ruhe»

Und wie oft können Sie nicht verhindern, dass die Verspätungen Tausende zur Weissglut bringen? «Pro Jahr ist das weniger als zehn Mal der Fall», antwortet Elmer. «Es kommt meistens dann vor, wenn es stark schneit oder wenn zwei grosse Störungen gleichzeitig auftreten.»

Zuletzt passierte das Ende Juni: Zuerst verformten sich wegen der Hitze die Gleise zwischen Bern und Bern-Wankdorf, dann legte eine Stellwerkstörung in Hindelbank auch noch die Ausweichstrecke via Langenthal lahm – das Chaos war perfekt.

Für viele dieser Fälle sind Massnahmen vorgeplant, kommen also ab Stange. «Aber es gibt auch zahlreiche Fälle, die nicht im Handbuch stehen», sagt Elmer. «Dann müssen wir kreativ sein – und dann hilft die Erfahrung.» 47 Jahre arbeitet er schon auf dem Beruf. «Ich habe 2005 den schweizweiten Stromausfall erlebt. Seitdem bringt mich nichts mehr aus der Ruhe.»

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