Wirtschaftsexperte Vontobel ordnet ein
Steuervorteile für Multis – muss das sein?

Die Schweiz ist für Multis ein steuerlich attraktiver Standort. Jetzt will uns die OECD diesen Trumpf nehmen. Für wen wäre das ein Nachteil?
Publiziert: 24.10.2019 um 11:13 Uhr
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Aktualisiert: 10.04.2021 um 22:40 Uhr
Werner Vontobel

Ein Multi müsste man sein: Sie produzieren dort, wo die Löhne am tiefsten. Sie verkaufen dort, wo die Kaufkraft am höchsten ist. Und sie verschieben ihre Gewinne dorthin, wo die Steuern am tiefsten sind. Weil dieses Rezept unschlagbar ist, werden erstens immer mehr nationale und lokale Firmen von Multis aufgekauft. Zweitens habe alle Länder versucht, mit tiefen Steuern Konzernsitze anzulocken: Mit der Folge, dass die Gewinnsteuersätze für Unternehmen in der OECD-Ländern seit 1980 von 47 auf 25 Prozent gefallen sind. In der Schweiz liegen sie etwa bei 14 Prozent.

Gleichzeitig geben wir seit 1980 auch immer mehr Geld für kollektive Güter wie Bildung, Verwaltung, Gesundheit, Umweltschutz, öffentliche Sicherheit aus. Wegen der stark steigenden Produktivität gehen derweil die Ausgaben für private Güter wie Essen, Kleider, Autos, Unterhaltungsgüter tendenziell zurück. Hinzu kommt, dass die Sozialausgaben stark gestiegen sind – nicht zuletzt, weil die Multis ihren Mehrwert sehr ungleich verteilen und viele Mitarbeiter entlassen haben. Doch weil die Gewinnsteuern wegbrechen, fehlt das Geld, um diese Ausgaben zu finanzieren.

Vorteile für Amazon & Co.

Die «NZZ» findet das gut, weil mit Staatsgeldern ohnehin nur «Begehrlichkeiten» finanziert und «künstliche» Beschäftigung geschaffen werde. Doch die Ökonomen der OECD sehen das anders: Um das Problem zu beheben, wollen sie die Multis daran hindern, ihre Gewinne in die Steueroasen zu verschieben. Stattdessen sollen sie gemäss den Reformplänen der OECD dort versteuern, wo sie ihre Waren oder Dienstleistungen verkaufen.

Wirtschaftsexperte Werner Vontobel ordnet für BLICK aktuelle Themen der Gesellschaft und Wirtschaft ein.
Foto: Paul Seewer
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Für die Schweiz wäre das in Einzelfällen günstiger – Airbnb oder Amazon etwa müssten hier mehr Steuern zahlen. Insgesamt hingegen würde unser Land mit geschätzten jährlichen Steuerausfällen von 1 bis 5 Milliarden Franken zu den Verlierern einer solchen Steuerreform gehören. Finanzblätter wie «NZZ» oder «Handelszeitung», haben Bern deshalb auch schon aufgefordert, sich gegen diesen «Raubzug» zu wehren, und eine «Koalition der Tüchtigen» («NZZ») zu schmieden.

Eine statistische Täuschung

Doch profitieren wir Schweizer wirklich davon, dass der globale Steuerwettbewerb weiter geht – und dass wir ihn mit unserer neuesten Steuerreform noch einmal verschärft haben? Zweifel sind zumindest angebracht. Zum Beispiel der: Die Schweiz hat 4'300 Milliarden Guthaben in Fremdwährung. Wenn die betreffenden Staaten mangels Steuereinnahmen nur schon wackeln, gehen schnell mal ein paar 100 Milliarden flöten. Das wirkt sich auch auf unsere Renten aus.

Was aber ist mit dem «Google-Argument», wonach Multis, die sich hier aus steuerlichen Gründen ansiedeln, neue Jobs für Schweizer schaffen? Nun, statistisch gesehen lässt sich dieses Argument hochkant widerlegen: In den Periode 2016 bis 2018 sind in der Schweiz insgesamt 77'000 Jobs geschaffen worden. Davon entfallen 74'000 auf Ausländer und nur 3'000 auf Schweizer. Doch auch diese neuen «Schweizer» Jobs sind eine statistische Täuschung, denn in derselben Periode sind 87'000 Ausländer eingebürgert worden, womit mindestens 50'000 ausländische in schweizerische Jobs umgewandelt worden sind.

Multis schaffen neue Probleme

Im Klartext: Die Multis, die sich dank unseren tiefen Steuern in der Schweiz niederlassen, schaffen keine neuen Jobs für Einheimische, sie nehmen vielmehr ihre Arbeitskräfte – notgedrungen – aus dem Ausland mit.

Und schaffen damit neue Probleme: Die Einwanderer unterteilen sich – leicht überspitzt formuliert – in Herren und Diener auf. Die Herren sind die gut bezahlten Manager und Spezialisten. Sie treiben mit ihrer Kaufkraft die Mieten und Immobilienpreise hoch. Die Diener sind die aus allen EU-Ländern oft unter mafiösen Bedingungen entsandten temporären Hilfsarbeiter, Nannys, Kuriere und Pfleger, welche für die Herren die nötigen Wohnungen und Infrastrukturen bauen und ihnen die Mühen des Alltags erleichtern.

Unser Problem ist, dass die Diener das Gleichgewicht unseres Arbeitsmarktes gefährden, wogegen wir mühsam mit den flankierenden Massnahmen ankämpfen müssen.

Kein klares Resultat

Bei den Steuereinnahmen und Sozialabgaben sieht die Rechnung nur scheinbar besser aus. Das Finanzminister Ueli Maurer (68) hatte ausgerechnet, dass die durch die Steuersenkungen der «Steuerreform 17» ausgelöste Zuwanderung von Firmen und Arbeitskräften der Schweiz jährlich netto 1,4 Milliarden Franken einbringen werde, wovon knapp eine halbe Milliarde mehr Steuern und gut 900 Millionen durch die Einzahlungen der Zuwandernden in die AHV- und die Pensionskassen.

Nicht eingerechnet hat Maurer aber, dass der Staat für die Eingewanderten Schulen und Strassen für jährlich mehrere Milliarden bauen muss, und dass diese ihre AHV- und Pensionskassenguthaben später selbst konsumieren werden – vermutlich in ihren billigeren Herkunftsländern.

Gewiss, ganz genau kann man nicht wissen, was die Vor-und Nachteile unseres Siegs im Steuerwettbewerb sind. Aber vermutlich muss die Schweiz froh sein, wenn uns die OECD mit der geplanten Reform der Unternehmenssteuern vor weiteren Schildbürgerstreichen bewahrt.

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