Wegen Corona: Immo-Preise explodieren
«Nur noch Reiche können ein Haus kaufen»

Wegen Corona explodiert die Nachfrage nach Einfamilienhäusern. Ein Eigenheim aber können sich immer weniger Schweizer leisten. Dann auch die Preise schiessen gerade durchs Dach.
Publiziert: 22.11.2020 um 10:55 Uhr
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Aktualisiert: 14.04.2021 um 16:19 Uhr
Die Nachfrage nach grossen Mietwohnungen und Einfamilienhäusern ist 2020 explodiert.
Foto: Keystone
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Danny Schlumpf

Ivana Leiseder (38) wollte raus aus dem Zentrum. Im August zog sie von Zürich in ein Fachwerkhaus im ländlichen Rüti ZH. «Wegen Corona arbeite ich nur noch von zu Hause aus», sagt die Kommunikationschefin einer IT-Firma. «Ich brauche mehr Platz.»

Damit ist Leiseder nicht allein. Seit Beginn der zweiten Welle findet sich die Hälfte der Angestellten in der Schweiz wieder im Homeoffice. Und wie eine Befragung der Immobilienberatungsfirma Wüest Partner zeigt, sinkt bei Menschen, die mehr als 50 Prozent daheim arbeiten, die Zufriedenheit mit der bisherigen Wohnsituation.

Nachfrage explodiert

Die Folge: Immer mehr Schweizer suchen immer grösseren Wohnraum.
Wüest Partner und das Marktforschungsinstitut Realmatch360 haben für SonntagsBlick die Immobilien-Suchabos der grossen Schweizer Internetportale ausgewertet. Ergebnis: Die Nachfrage nach geräumigen Mietwohnungen und Einfamilienhäusern ist 2020 explodiert.

Im Oktober hat die Suche nach 4,5-Zimmer-Wohnungen im Vergleich zum Vorjahr um 7 Prozent zugenommen, die nach 6,5-Zimmer-Wohnungen gar um 13 Prozent.

Zwar nahm in der Schweiz die Wohnfläche pro Kopf schon vor Corona zu – von 45,4 Quadratmetern im Jahr 2016 auf 46 Quadratmeter im Jahr 2019 –, doch in diesem Jahr dürfte die 50-Quadratmeter-Marke nach Schätzungen der Immobilienberatungsfirma Iazi bei weitem übertroffen werden.

Weil die Mietpreise in den Zentren jedoch seit Jahren steigen, müssen Interessierte an mehr Wohnraum zum gleichen Preis immer weiter in die Peripherie ausweichen. Zu diesem Schluss kommt eine neue Studie von Iazi: Bewohner einer 3,5-Zimmer-Wohnung für 2460 Franken in Zürich finden innerhalb der Kantonsgrenzen noch immer eine gleich teure Bleibe mit einem Zimmer mehr, etwa in Illnau-Effretikon. Wer aber für 1010 Franken 3,5 Zimmer in Glarus Süd bewohnt, findet in der Schweiz praktisch nirgends eine 4,5-Zimmer-Wohnung zum gleichen Preis – bestenfalls im 190 Kilometer entfernten Mettembert JU. Iazi-CEO Donato Scognamiglio (48): «Wer schon auf der Sonnenseite steht, hat es einfach. Für die anderen wird es noch schwerer.»

In der Pandemie sehnt man sich nach Schutz

Viele Schweizer suchen aber mehr als nur zusätzliche Wohnfläche. In der Pandemie sehnen sie sich auch nach einem Sitzplatz und grünem Umschwung, mehr Privatsphäre und Schutz vor dem Lärm der Nachbarn. Nicht zuletzt deshalb ist die Nachfrage nach Einfamilienhäusern extrem gestiegen: Im Vergleich zum Oktober 2019 nahm sie um rekordhohe 27Prozent zu, wie die Suchabo-Auswertung von Wüest Partner und Realmatch360 ergeben hat.

Die Auswertung zeigt auch, wohin es die Suchenden zieht: Suchabos für Tourismusregionen nahmen um 59 Prozent zu, die für Gemeinden in der Agglomeration um bis zu 31 und für ländliche Gebiete um 27 Prozent. Besonders gefragt sind Orte mit Erholungsräumen und guten Einkaufsgelegenheiten.

Die Bedeutung von Kulturangeboten und Gastronomie hingegen nimmt ab – auch dies wohl eine Folge von Corona.

Nur logisch also, dass die Attraktivität von Kleinstädten wie Sursee LU und Burgdorf BE, von Agglomerationsgemeinden wie Männedorf ZH und Hergiswil NW, aber auch von kleineren Ortschaften in der Peripherie wie Ayent VS oder Berneck SG steigt. «Viele wollen raus aus den Zentren, ohne auf eine ausgebaute Infrastruktur und gute Anschlüsse zu verzichten», sagt Robert Weinert (41) von Wüest Partner. Zusätzlich angeregt werde der Traum vom Eigenheim durch die niedrigen Zinsen. «So bleiben die Finanzierungskosten von Wohneigentum auf absehbare Zeit tiefer als die Mieten.»

Allerdings explodieren wegen der massiven Nachfrage auch die Hauspreise – in den vergangenen zwölf Monaten um mehr als fünf Prozent. «Die Preise reflektieren die Attraktivität von Immobilien im Vergleich zu anderen Vermögenswerten», sagt Immobilienexperte Andreas Loepfe (56) von der Uni Zürich. «Wenn die Zinsen weiter sinken und die Pensionsgelder noch unsicherer werden, schiessen auch die Immobilienpreise weiter in die Höhe.»

Ab 180'000 Franken Jahreslohn ist man dabei

Deshalb müssen Kaufwillige immer tiefer in die Tasche greifen – ein teurer Trend, den der kalkulatorische Zinssatz der Banken noch verschärft: Wer einen Hypothekarkredit aufnimmt, muss bis zu sechs Prozent aus seinem Einkommen tragen können – egal wie tief die aktuellen Zinsen sind.

Für ein Haus im Wert von 1,25 Millionen Franken mit einer Hypothek von einer Million will die Bank deshalb 180'000 Franken auf dem Lohnausweis sehen. Zum Vergleich: Der Medianlohn in der Schweiz liegt bei 80'000 Franken.

«Es ist absurd», sagt Donato Scognamiglio. «Viele könnten heute problemlos ein Haus tragen, aber nicht für diesen extremen Risikofall.» Immer mehr Regionen kommen deshalb für Normalverdienende auf Haussuche nicht mehr infrage.

In Zürich und der Innerschweiz, am Genfersee und im Engadin sind Häuser für weniger als eine Million Franken kaum noch zu haben. Das sei besonders für die jüngeren Generationen deprimierend, glaubt Scognamiglio. «Wer nicht gerade erbt, hat praktisch keine Chancen.» Zugespitzt formuliert, bedeute dies: «Nur noch Reiche können heute ein Haus kaufen.»

Schweizer bleiben wohl in ihren Mietwohnungen

60 Prozent der Schweizer bleiben also auf absehbare Zeit, wo sie sind – in ihren Mietwohnungen. Leer stehende Häuser dürfte es dennoch nicht geben. Denn trotz der rasanten Nachfrage haben die Baubewilligungen für Einfamilienhäuser in diesem Jahr nicht zugenommen.

«Wer eine Wiese mit genügend Platz hat, stellt ein Mehrfamilienhaus drauf», sagt Scognamiglio. «Damit lässt sich noch mehr rausholen. Deshalb verschwinden immer mehr Eigenheime.»

Ivana Leiseder ist froh, noch eins gefunden zu haben – allerdings nur zur Miete: «Den Kauf eines solchen Hauses kann ich mir schlicht nicht leisten.»

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