«Es war klar, dass wir keine Zusammenarbeit mit Russland mehr wollen»
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Managing Director des WEF:«Es war klar, dass wir keine Zusammenarbeit mit Russland mehr wollen»

WEF-Direktor Alois Zwinggi (60) über Aggressor Russland
«Für friedensbildende Massnahmen ist es leider noch zu früh»

Ein Jahrestreffen des World Economic Forum (WEF) im Mai ist für alle eine Premiere. Alois Zwinggi, geschäftsführender Direktor des WEF, über die grossen Themen, die Freude der Davoser und die Corona-Schutzmassnahmen.
Publiziert: 20.05.2022 um 23:29 Uhr
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Aktualisiert: 21.05.2022 um 12:01 Uhr
Christian Kolbe

Zwei Jahre lang hat Alois Zwinggi (60) dem Coronavirus Widerstand geleistet. Doch ausgerechnet kurz vor dem ersten Jahrestreffen des World Economic Forum (WEF) nach der Corona-Zwangspause hat die Omikron-Variante den geschäftsführenden Direktor erwischt. Nach dem virtuellen Gespräch mit Blick zwingt das Virus Zwinggi zu einigen Tagen Pause. Mit heiserer Stimme redet er über Corona, den aussergewöhnlichen Termin im Sommer und über die grossen Herausforderungen im Krisenjahr 2022. Doch Zwinggi ist zuversichtlich, rechtzeitig zum Beginn des Jahrestreffens wieder fit zu sein.

Blick: Ein WEF im Mai – gab es gegen den ungewöhnlichen Termin Widerstand in Davos?
Alois Zwinggi: Nein, der Termin ist auf sehr viel Wohlwollen gestossen. Der Kongresstourismus hat arg unter Corona gelitten, deshalb sind die Davoser sehr glücklich darüber, dass wir nun wieder da sind. Wir spüren eine grosse Unterstützung seitens der Hotellerie, Parahotellerie und Gastronomie sowie auch der Gemeinde.

94'000 Franken für eine Ferienwohnung: Die WEF-Woche in Davos ist auch bekannt für Preisexzesse. Hat sich da nichts gebessert?
Die Preise, die uns angeboten werden, bewegen sich inzwischen in einer vernünftigen Bandbreite. Wir haben eine gute Verhandlungsbasis mit den Hotel- und Ferienwohnungsbesitzern gefunden. Es war mehr die Frage: Bekommen wir überhaupt genügend Zimmer? Da doch in der Zwischensaison viele Hotels normalerweise geschlossen sind.

Am Sonntag, 22. Mai, beginnt in Davos GR das Jahrestreffen des World Economic Forum.
Foto: keystone-sda.ch
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Die Antwort ist …
… ja! Einige Hotels haben extra für die Woche des Jahrestreffens aufgemacht. Das ist ein grosser Effort, denn die Hotels müssen noch zusätzliches Personal rekrutieren, um all die Gäste bewirten zu können. Andererseits ist diese Woche eine willkommene Extra-Einnahmequelle.

Die Pandemie ist ja für viele kein Thema mehr. Wie geht das WEF mit Corona um?
Wir haben ein sehr strenges Schutzkonzept: Alle Teilnehmer müssen geimpft sein, sich vor der Anreise und nach der Ankunft testen lassen. Zudem empfehlen wir allen, eine Maske zu tragen. Omikron breitet sich ja weltweit immer noch aus. Wir haben praktisch das Schutzkonzept vom Januar auch für den Mai übernommen.

Was passiert bei einem Corona-Ausbruch – wird das WEF abgebrochen?
Nein. Wir halten uns an die Regeln in der Schweiz. Dank des Schutzkonzepts rechnen wir nicht mit einem grösseren Ausbruch. Beim Testen werden die positiven Fälle hängenbleiben. Diese dürfen das Kongresszentrum nicht betreten.

Wir führen dieses Gespräch virtuell. Braucht es überhaupt noch ein reales Treffen in Davos?
Viele Teilnehmer haben den ausdrücklichen Wunsch geäussert, sich wieder persönlich zu treffen. Videokonferenzen sind für den Austausch von Informationen gut, taugen aber nicht zum Beziehungenknüpfen oder dafür, diese zu pflegen.

Das Forum hat alle Russen ausgeladen. War das ein umstrittener Entscheid?
Nein, das ging sehr schnell. Wir haben es mit einem Angriffskrieg in Europa zu tun. Das ist eine Zeitenwende. Für uns war sofort klar: Wir sind solidarisch mit der Ukraine. Mit unseren Büros in der Schweiz und den USA müssen wir uns an die internationalen Sanktionen halten. Deshalb haben wir die Beziehungen zu allen russischen Kontakten abgebrochen, egal ob aus Wirtschaft oder Politik.

Das Forum versteht sich doch als Dialog-Plattform – wieso in diesem Fall nicht?
Wir müssen realistisch sein. Russland ist ein nach wie vor extremer Aggressor, für friedensbildende Massnahmen ist es leider noch zu früh.

Mussten bereits einbezahlte Gelder und Beiträge zurückerstattet werden?
Wir unterstehen den Sanktionen. Deshalb waren gewisse Transaktionen gar nicht möglich. All die bereits bezahlten Beiträge haben wir auf ein Sperrkonto überwiesen.

Ist der Krieg in der Ukraine das grosse Thema beim Jahrestreffen?
Der Konflikt hat einen Einfluss auf viele Bereiche, etwa die Energie- oder Nahrungsmittelversorgung. Die Teuerung zieht schon seit dem Abflauen der Pandemie an, der Krieg lässt die Preise durch die Decke schiessen. Lieferketten werden unterbrochen, Rohstoffe sind nicht mehr verfügbar.

Friedensinitiativen darf man aber nicht erwarten ...
Wir werden uns darauf konzentrieren, Massnahmen gegen die humanitäre Krise zu ergreifen – und auch schon mal beginnen, über den Wiederaufbau nachzudenken.

Was beschäftigt die Teilnehmer sonst noch?
Der weitere Verlauf der Corona-Pandemie und der Krieg in der Ukraine stehen sicher im Zentrum. Was bedeutet das für die Versorgung mit Nahrungsmitteln, wie fragil sind die Lieferketten, wie weiter mit der Inflation? Was heisst das für das Wohlergehen der Menschen? Das ist die zentrale Frage.

Der Klimawandel ist kein Thema mehr?
Wir müssen das Thema wieder zurück auf die Agenda bringen. In Davos sind rund 50 Regierungen und an die 800 global operierende Firmen präsent. Dazu hat es viele Vertreter von Nichtregierungsorganisationen. Diese Chance, den Kampf gegen den Klimawandel voranzutreiben, müssen wir einfach nutzen.

Wenige Organisationen stehen so stark für die Globalisierung wie das WEF. Ist das Ende der Globalisierung ein Verlust?
Das hat nichts mit einem Verlust zu tun, aber es gibt einen klaren Trend zu Regionalisierung und Deglobalisierung – zum Beispiel bei den Lieferketten. Über Jahrzehnte haben wir uns gar keine Gedanken gemacht, woher ein iPhone oder Komponenten für all die anderen elektronischen Gadgets kommen. Es ist gar nicht schlecht, dass wir wieder anfangen, darüber nachzudenken, wo all die Teile und Produkte herkommen, die wir täglich mehr oder minder gedankenlos konsumieren.

Gedanken muss sich das WEF aber über eine Austragung im Frühsommer machen. Was ändert das?
Wir lassen uns davon überraschen, was wirklich anders sein wird. Sicherlich werden wir uns nicht mit Schneefall herumschlagen müssen, dafür aber vielleicht mit weichem Untergrund. Denn im Januar ist ja der Boden gefroren, jetzt stehen die temporären Bauten auf einem aufgetauten Frühlingsboden. Wir hoffen jetzt auf gutes Wetter, damit das Jahrestreffen nicht im Schlamm versinkt.

Werden die Teilnehmer mehr zu Fuss unterwegs sein?
Diese Hoffnung auf ein nachhaltigeres Treffen besteht. Es gibt Anzeichen dafür, dass deutlich weniger Limousinen gebucht werden als im Winter. Die Reservationen bei den Limousinen sind bis jetzt bescheiden.

Das heisst weniger Gäste?
Nicht unbedingt, das ist eher ein Hinweis darauf, dass das Paralleluniversum, das sich in den letzten Jahren in Davos breitgemacht hat, etwas geschrumpft ist. Das betrifft all die Nebenveranstaltungen, die nicht von uns organisiert werden.

Hat das mit dem Datum oder dem erfolgreichen Kampf gegen die Trittbrettfahrer zu tun?
Ich befürchte, das liegt am Datum und der Post-Covid-Zeit. Ich bin nicht sicher, wie nachhaltig das sein wird. Die allgemeine Unsicherheit trägt sicher auch dazu bei. Vergessen wir nicht: Wer aus Asien, Amerika oder Afrika zu uns kommt, besucht einen Kontinent, auf dem ein heftiger Krieg tobt.

Nochmals: Gibt es weniger Gäste in Davos?
Wir haben mit über 2000 Registrierungen rund 20 bis 25 Prozent weniger Teilnehmer als in den letzten Jahren. Das hat verschiedene Gründe. So reisen aufgrund der Corona-Massnahmen in China keine chinesischen Manager ans Jahrestreffen. Die Konkurrenz im Mai durch andere Veranstaltungen ist grösser. Viele Firmen möchten ihre Generalversammlungen wieder physisch durchführen. Wir hatten schon im Januar bewusst kleiner geplant. Daran hat sich nichts geändert.

Wird das nächste Treffen wieder im Januar stattfinden?
Ja, wir planen bereits für den Januar 2023. Der Januar ist fix. Es geht ja auch darum, die Themen fürs Jahr zu setzen. Zudem ist die Kulisse von Davos im Winter mit Schnee unschlagbar schön.

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