Undurchsichtiger Kontrollapparat
Das 230-Millionen-Franken-Geschäft mit dem GAV

Die Schweiz leistet sich einen riesigen Kontrollapparat für den Arbeitsmarkt. Wohin die 230 Millionen fliessen, weiss niemand genau. Das links-grüne Lager wehrt sich gegen mehr Transparenz.
Publiziert: 18.09.2021 um 16:13 Uhr
Unia-Mitglieder demonstrieren 2015 für einen Ausbau Landesmantelvertrags in der Bauwirtschaft. GAV sichern gute Arbeitsverhältnisse und bescheren den Gewerkschaften Einnahmen.
Foto: Keystone
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Guido Schätti

Unia-Jahresberichte haben etwas gemeinsam: Regelmässig bedauert die Gewerkschaftsspitze, dass die Ziele bei der Mitgliederentwicklung verfehlt wurden. Die grösste Gewerkschaft der Schweiz schrumpft. Allein in den letzten drei Jahren hat sie zehn Prozent Mitglieder verloren.

Dank Immobilien und Finanzanlagen im Bruttowert von 950 Millionen Franken muss die Unia nicht am Hungertuch nagen (Blick berichtete). Doch auch ihr Tagesgeschäft hat sie ein Stück weit von der Gewerkschaftsarbeit entkoppelt: Seit zehn Jahren sind nicht mehr die Mitgliederbeiträge die Haupteinnahmequelle, sondern Gelder, die sie aus der Führung von Arbeitslosenkassen und mit Arbeitsmarktkontrollen bezieht.

Knapp 80 Millionen Franken spülten ihr diese beiden Bereiche letztes Jahr in die Kasse – zwei Drittel mehr als bei der Gründung vor 15 Jahren. Die Unia ist die grösste Betreiberin von Arbeitslosenkassen in der Schweiz. Da die Schweizer Wirtschaft trotz Corona stabil ist, sind die Wachstumsaussichten beschränkt. Besser sieht es bei Arbeitsmarktkontrollen aus: Die Einnahmen wachsen konstant auf zuletzt knapp 30 Millionen.

Gespiesen werden sie vom bürokratischen Apparat, den die Schweiz aufgebaut hat, um negative Auswirkungen aus dem freien Personenverkehr mit der EU abzufedern. Flankierende Massnahmen (FlaM) verhindern Lohndumping, Gesamtarbeitsverträge (GAV) sichern die schweizerischen Arbeitsbedingungen. Über die Einhaltung wachen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam bestellte Paritätische Kommissionen (PK).

Grüne und Linke wehren sich gegen mehr Transparenz

Diesen floss letztes Jahr die horrende Summe von 230 Millionen Franken zu. Die Zahl nannte der Bundesrat diese Woche in einer Antwort auf eine Motion der Wirtschaftskommission des Nationalrats, die mehr Transparenz bei den Paritätischen Kommissionen fordert. Auffallend dabei: Das links-grüne Lager um Regula Rytz (59), Jacqueline Badran (59) und Cédric Wermuth (35) lehnt die Forderung ab.

Das kommt nicht von ungefähr. Von den PK-Geldern profitiert zwar auch die Arbeitgeberseite, für die Gewerkschaften sind sie aber ein Füllhorn. Denn GAV-Beiträge müssen nicht nur Gewerkschaftsmitglieder zahlen, sondern alle unterstellten Arbeitnehmer und Firmen. Den Gewerkschaften kann es also ein Stück weit egal sein, wenn ihnen die Mitglieder davonlaufen. 1,3 Millionen Arbeitnehmer sind heute einem GAV unterstellt, 300’000 mehr als 2010.

Problematisch ist dies deshalb, weil das Abwehrdispositiv gegen Lohndumping die Schweiz europapolitisch in die Isolation treibt. Die Profiteure verweigern jegliche Anpassungen bei den flankierenden Massnahmen, die für das Rahmenabkommen nötig wären. Bürokratische Hürden wie eine Acht-Tage-Voranmeldefrist für ausländische Firmen erklären sie für unverhandelbar. Nach dem Nein zum Rahmenvertrag fordern die Gewerkschaften nun einen weiteren Ausbau der FlaM und der GAV.

Dunkelkammer Gewerkschaften

Die Unia verfügt über Immobilien und Finanzanlagen im Bruttowert von 950 Millionen Franken. Ihre Jahresrechnungen hält sie unter Verschluss. Dasselbe gilt für die Syna, die zweitgrösste Gewerkschaft, sowie die Dachverbände SGB und Travailsuisse. Das
Problem dabei: Die Einnahmen der Gewerkschaften stammen zu einem Grossteil aus staatlichen Leistungen und aus Zwangsabgaben von Nicht-Mitgliedern. Die Führung von Arbeitslosenkassen und Leistungen für GAV spülen der Unia jährlich knapp 80 Millionen in die Kasse. Die Paritätischen Kommissionen (PK) kassieren insgesamt 230 Millionen Franken. Details über die Geldflüsse sind nicht bekannt. Nur das Seco als Aufsichtsbehörde kennt sie. Linke und Grüne lehnen eine Motion für mehr Transparenz ab. Auch der Bundesrat sperrt sich dagegen.

Die Gewerkschaft Syna ist noch verschlossener als die Unia.
Keystone

Die Unia verfügt über Immobilien und Finanzanlagen im Bruttowert von 950 Millionen Franken. Ihre Jahresrechnungen hält sie unter Verschluss. Dasselbe gilt für die Syna, die zweitgrösste Gewerkschaft, sowie die Dachverbände SGB und Travailsuisse. Das
Problem dabei: Die Einnahmen der Gewerkschaften stammen zu einem Grossteil aus staatlichen Leistungen und aus Zwangsabgaben von Nicht-Mitgliedern. Die Führung von Arbeitslosenkassen und Leistungen für GAV spülen der Unia jährlich knapp 80 Millionen in die Kasse. Die Paritätischen Kommissionen (PK) kassieren insgesamt 230 Millionen Franken. Details über die Geldflüsse sind nicht bekannt. Nur das Seco als Aufsichtsbehörde kennt sie. Linke und Grüne lehnen eine Motion für mehr Transparenz ab. Auch der Bundesrat sperrt sich dagegen.

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Baumeister kritisieren Verpolitisierung der Arbeitsmarktkontrollen

Dagegen regt sich Widerstand. «Man kann durchaus zu Recht annehmen, dass der erbitterte Widerstand der Gewerkschaften gegen das Rahmenabkommen mehr geleitet war von der Gier, die eigenen fast unerschöpflichen Geldquellen zu sichern, und sicher nicht primär motiviert vom Arbeitnehmerschutz», sagt Peter Grünenfelder (54), Direktor der liberalen Denkwerkstatt Avenir Suisse.

Auch dem wichtigsten Sozialpartner, den Baumeistern, ist die Reglementierung nicht mehr geheuer: «Wir stellen auf Seiten Gewerkschaften eine starke Verpolitisierung der Kontrolltätigkeiten fest», sagt Bernhard Salzmann, stellvertretender Direktor des Schweizerischen Baumeisterverbands (SBV). «In einzelnen Regionen der Schweiz wird systematisch versucht, die eigentlich neutralen und faktenbasierten Kontrollaufgaben mit einer politischen Agenda zu verknüpfen.»

Unia-Kommunikationschef Serge Gnos (49) verteidigt dagegen die Schutzmassnahmen: «Der Ausbau der FlaM und der GAV war nötig, weil Flexibilisierung und Globalisierung den Druck auf die Arbeitsverhältnisse erhöhen.» Dass die Einnahmen aus dem Geschäftsbereich steigen, bestreitet er nicht, er betont aber, dass die Unia unter dem Strich damit kein Geld verdiene: «Wir geben viel mehr für die Erarbeitung von GAV aus, als wir einnehmen.»

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