Umgeht Russland Sanktionen?
Der Schweizer Handel mit Putins Nachbarn floriert

Schweizer Luxuswaren, Maschinen und Elektrotechnik finden weiterhin einen Weg nach Russland. Die Seco möchte dagegen etwas unternehmen.
Publiziert: 31.08.2023 um 17:07 Uhr
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Aktualisiert: 15.01.2024 um 12:06 Uhr
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Fabienne Kinzelmann
Handelszeitung

Sonne, gegrillter Lachs, Champagner. Beim Sommerfest der Schweizerisch-Russischen Handelskammer vor einigen Wochen deutet nichts auf Krise hin. «Man denkt, es läuft nichts, aber es läuft! Illegal und legal ...», sagt Präsidentin Svetlana Chiriaeva in ihrer Begrüssungsrede über die wirtschaftlichen Beziehungen mit dem Pariasstaat. Was sie damit meint, verrät sie später im persönlichen Gespräch: Man müsse sich doch nur den Güterverkehr zu Russlands Nachbarn anschauen. Da sei die Sache klar.

Svetlana Chiriaeva, Präsidentin der Schweizerisch-Russischen Handelskammer: «Man denkt, es läuft nichts, aber es läuft.»
Foto: ZVG

Ein Blick in die Aussenhandelsstatistik bestätigt: Der Schweizer Handel mit Russlands Nachbarn floriert. Das nährt den Verdacht, dass Sanktionen über die russischen Nachbarn umgangen werden. «Es ist immer schwierig, Umgehungsgeschäfte zu beweisen, aber es gibt einige interessante Muster in den Daten», sagt der Wirtschaftswissenschaftler Stefan Legge, Herausgeber des «Swiss Trade Monitor». Gängige Handelsmodelle stützten die Annahme, dass Russland die Sanktionen über Drittstaaten umgehe: Der ursprünglich beschränkte Handel fliesse via Drittstaaten weiter, wenn dies nicht über entsprechende Barrieren verhindert wird. Historisch gesehen habe das bislang allerdings nur selten wirklich geklappt.

In diesen acht Ländern stiegen die Schweizer Exporte auffällig

Während die Warenexporte nach Russland im ersten Halbjahr 2023 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 4 Prozent sanken, stiegen parallel dazu die Exporte in zahlreiche ehemalige Sowjetrepubliken – teilweise um mehr als das Doppelte. Auch die Türkei, die sich den westlichen Sanktionen nur geringfügig angeschlossen hat, importierte deutlich mehr als im Vorjahr.

Goldrausch: Die Schweizer Goldexporte sind kräftig gestiegen.
Foto: Keystone
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Gefragt waren neben Pharmaprodukten besonders häufig Luxuswaren und technische Güter. In diesen Produktkategorien verzeichnete Russland im Gegenzug teilweise dramatische Importeinbrüche: organische chemische Erzeugnisse (minus 149,2 Prozent), Maschinen (Kategorie 84, minus 56,9 Prozent), Elektrotechnik (Kategorie 85, minus 66,5 Prozent), optische Geräte (Kategorie 90, minus 13,4 Prozent) und Uhren (minus 95,9 Prozent).

Die folgende Liste zeigt einige besonders auffällige Steigerungen:

  • Die Schweizer Exporte nach Aserbaidschan stiegen bei den Edelmetallen um 86,5 Prozent auf 4,5 Millionen Franken, Uhren um 20 Prozent auf 5 Millionen Franken.
  • Nach Belarus haben sich die Uhrenexporte mehr als verdoppelt, optische Instrumente und Messgeräte stiegen mit 2,1 Millionen Franken gar um das Zweieinhalbfache.
  • Auch in Georgien, wo Pharmaprodukte mehr als zwei Drittel der Gesamtexporte ausmachen, sind Uhren gefragt: Der Exportwert stieg um 139,3 Prozent auf 4,7 Millionen Franken.
  • In Kasachstan zeigt sich ein besonders interessantes Bild: Während ausgerechnet der Schweizer Exportschlager Pharma ein Minus von 31,3 Prozent verzeichnet, verfünffachte sich die Nachfrage für neuen Schmuck und die in Russland unter Druck geratenen Produktkategorien für Maschinen (plus 242,7 Prozent), Elektrotechnik (plus 96,3 Prozent) und optische Geräte (plus 74,1 Prozent).
  • Beim vergleichsweise kleinen Schweizer Handelspartner Kirgisistan brachen die Pharmaexporte sogar um mehr als zwei Drittel ein. Neben den volatilen Erzeugnissen der chemischen Industrie wurden zwei Produkte kräftig nachgefragt: optische Geräte (plus 56,6 Prozent) und Uhren (plus 7,3 Prozent).
  • Die Exporte nach Tadschikistan haben sich nach einem Einbruch um vier Fünftel (80,3 Prozent) im Vorjahr gewaltig gesteigert: um das 62-Fache (!). Das liegt vor allem an Goldexporten: Das Edelmetall macht 27,3 Millionen Franken der 32,4 Millionen Franken Gesamtexporte in das zentralasiatische Land aus.
  • In Usbekistan stiegen die Maschinenimporte aus der Schweiz (plus 225 Prozent), ebenso elektrotechnische Waren (plus 524,9 Prozent) und optische Geräte (plus 87,9 Prozent) – und damit deutlich mehr als die Pharmaprodukte (plus 75 Prozent). Auch Uhrenfabrikate der Schweiz erfreuten sich in Usbekistan mit einem Plus von 53 Prozent grosser Beliebtheit.
  • Auffällig ist zudem die Türkei, mit Schweizer Exporten in das Land mit über 8,91 Milliarden Franken der grösste Handelspartner der Schweiz in dieser Liste: Die Goldexporte stiegen um das Viereinhalbfache, mit einem Wert von 7,6 Milliarden Franken. Das Edelmetall macht 85 Prozent der Exporte aus.

Ähnliche Exportanstiege zu Russlands Nachbarn verzeichnen auch andere Länder wie etwa Deutschland. Gleichzeitig zeigen offizielle Daten, dass sich der Handel zwischen den Ländern und Russland verstärkt hat.

Artikel aus der «Handelszeitung»

Dieser Artikel wurde erstmals im kostenpflichtigen Angebot von handelszeitung.ch veröffentlicht. Blick+-Nutzer haben exklusiv Zugriff im Rahmen ihres Abonnements. Weitere spannende Artikel findest du unter www.handelszeitung.ch.

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Der diplomatische Druck, mögliche Umgehungsgeschäfte zu vermeiden, ist in den vergangenen Monaten kräftig gestiegen. Und die Ausfuhr von sogenannten Dual-Use-Gütern – zivil und militärisch verwendbaren Industriegütern – muss zwar unabhängig vom Bestimmungsland extra genehmigt werden, doch wasserdicht ist das nicht. In russischen Waffen wurden bereits Schweizer Komponenten gefunden, die nach Kriegsausbruch exportiert wurden.

Auch die Hersteller selbst sind in der Verantwortung

Die Repo, die Sanktions-Taskforce der G7-Staaten, warnte im Frühjahr in einem Bericht, dass Drittländer zur Beschaffung sensibler Güter missbraucht werden können – etwa, indem der russische Kunde ein in einem Drittland ansässiges Speditionsunternehmen als Endziel für sensible Güter angibt. Die eigentlich sanktionierte Ware werde dann aber an Russland umgeleitet.

Die Unternehmen, die diese Transaktionen erleichtern, hätten oft den Anschein, dass sie mit der Transaktion nichts zu tun hätten, und würden so als Umschlagplatz genutzt. Die russischen Endverbraucher würden dabei gefälschte Unterlagen, etwa Frachtbriefe (sogenannte Konnossemente), nutzen, um damit die Lieferung von Waren sicherzustellen.

Die Politik ist bei der Umsetzung der Handelsbeschränkungen auf die Chefs der exportierenden Firmen angewiesen. «Wenn Sie plötzlich Exporte von Gütern in Drittländer sehen, welche bislang von ihrer Firma nach Russland geliefert wurden, dann sollten Sie sich selbst fragen, ob Sie nicht zur Umgehung von Sanktionen beitragen», sagte ein EU-Beamter vor einigen Monaten gegenüber Reuters.

Seco setzt neuen Super-Sanktionsbeauftragten ein

In Bern bereitete der boomende Handel mit Russlands Nachbarn lange niemandem Sorgen. Zwar wird das zuständige Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) für seinen vermeintlich laschen Umgang mit den Sanktionen seit Monaten von westlichen Partnern wie den USA kritisiert. Auf eine Anfrage der «Handelszeitung» Ende Juli wiegelt die Behörde jedoch ab. «Stand heute liegen dem Seco keine konkreten Anzeichen oder Informationen zu Umgehungsfällen mit den erwähnten Staaten vor», schreibt ein Sprecher.

Allerdings werde die Frage von Umgehungsgeschäften über Drittstaaten «aktuell international intensiv diskutiert». Auch die Schweiz beteilige sich aktiv an den internationalen Anstrengungen, dies wirksam zu unterbinden.

Simon Plüss verantwortet ab September die neue Sanktionsabteilung des Seco.
Foto: Keystone .

Das Seco sieht im Zusammenhang mit der Sanktionskontrolle aber offenbar doch noch mehr Handlungsbedarf: Ab dem 1. September gibt es im Staatssekretariat eine gesonderte Abteilung für Exportkontrollen und Sanktionen. «Damit will ich diese politisch sensiblen Themen des Seco stärken», schreibt Staatssekretärin Helene Budliger Artieda auf Linkedin. Die bisherigen Ressorts «Sanktionen», «Rüstungskontrolle und Rüstungskontrollpolitik», «Exportkontrollen Industrieprodukte» und «Exportkontrollpolitik Dual-Use» werden zu einem Bereich zusammengefasst. Die Leitung obliegt Simon Plüss: Der Jurist ist jetzt so was wie der oberste Schweizer Sanktionsbeauftragte.

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