Trotz Öffentlichkeitsgesetz
So halten Bundesräte geheim, was sie mit Mächtigen besprechen

Die Bundesverwaltung ist per Gesetz zur Transparenz verpflichtet, doch die Departemente und ihre Vorsteher haben Tricks entwickelt, um über wichtige Begegnungen zu schweigen. Es werden nicht einmal mehr Treffen mit hochrangigen Vertretern anderer Länder protokolliert.
Publiziert: 03.12.2023 um 14:36 Uhr
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Aktualisiert: 03.12.2023 um 14:37 Uhr
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Thomas SchlittlerWirtschaftsredaktor

Die Offenheit des Magistraten überraschte. «Selbstverständlich wusste ich, dass es Kontakte zum Ringier-CEO gab. Teilweise war ich auch dabei», antwortete Alain Berset (51) diese Woche den Tamedia-Zeitungen auf die Frage, ob er von den Kontakten zwischen seinem Kommunikationschef Peter Lauener (54) und Ringier-CEO Marc Walder (58) in der Corona-Pandemie gewusst habe.

Die Rechtfertigung des abtretenden Gesundheitsministers: «Die Verwaltung hat immer Kontakte zu Kreisen, die von Entscheiden betroffen sind oder Inputs geben können.»

So weit, so gut: Der Austausch von Entscheidungsträgern mit Vertretern von Wirtschaft und Gesellschaft gehört zu unserem Politikverständnis. Heikel wird es, wenn die Öffentlichkeit keine Möglichkeit hat zu erfahren, was bei solchen Treffen besprochen wird.

Treffen sich nicht nur untereinander, sondern auch mit Vertretern von Wirtschaft und Gesellschaft: die sieben Bundesräte.
Foto: Keystone
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In diesem Zusammenhang hat sich Grundlegendes verändert. «Die Protokollierung von Treffen zwischen Bundesräten und wichtigen Wirtschaftsvertretern oder Ministern ist in den vergangenen Jahren leider eine politische Frage geworden», sagt Sacha Zala (55), Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Geschichte. Früher habe die Verwaltung Protokolle oder Akten angelegt und eigentlich nur für den eigenen Gebrauch archiviert. Sie waren dann für 30 Jahre gesperrt. «Seit Einführung des Öffentlichkeitsgesetzes im Jahr 2004 können gewisse Akten sofort öffentlich werden – und die Beamten und ihre Chefs haben nun Angst, dass ihnen die Protokollierung eines Treffens schaden könnte.»

Ein aktuelles Beispiel: Am 18. April 2023 traf sich Roger Schawinski (78) mit Albert Rösti (56). Der Medienunternehmer wollte den neuen Vorsteher des Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek) davon überzeugen, dass Radioprogramme weiterhin via Ultrakurzwelle (UKW) verbreitet werden können. Er fand Gehör: Im Sommer beschloss der Bundesrat, die UKW-Verbreitung zu verlängern.

Protokolle sind nicht mehr selbstverständlich

SonntagsBlick wollte gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz erfahren, was bei der Begegnung von Rösti und Schawinski genau besprochen worden war. Das Uvek lehnte das Gesuch jedoch mit der Begründung ab, dass von diesem Treffen gar kein Protokoll erstellt worden sei. «Nicht jeder Austausch gilt notwendigerweise als offizielle Sitzung, in der ein formales Protokoll geführt wird», so die Behörde. Im Mai traf Rösti weitere Vertreter der Medienbranche. Laut Uvek wurde der anstehende UKW-Entscheid dabei ebenfalls besprochen, Dokumente fehlen aber auch hier.

Selbst als Beamte des Bundes im Herbst 2022 zwei Tage lang mit Axpo-Managern über ein Darlehen verhandelten, um den Stromkonzern zu stabilisieren, wurden keine Protokolle erstellt, wie der «K-Tipp» im Sommer berichtete.

Dem Historiker Zala bereitet das Sorgen: «Wir sind für die Geschichtsschreibung darauf angewiesen, nach 30 Jahren die Entscheidungsprozesse nachvollziehen zu können. Dafür ist eine möglichst vollständige Protokollierung und Archivierung unerlässlich.»

Heute sind Protokolle nicht einmal mehr bei Treffen mit hochrangigen Vertretern anderer Länder selbstverständlich: Am 18. September 2023 empfingen Finanzministerin Karin Keller-Sutter (59) und Wirtschaftsminister Guy Parmelin (64) den katarischen Finanzminister Ali bin Ahmed al-Kuwari. Ein Jahr zuvor hatte auch der mittlerweile abgetretene Ueli Maurer (73) dem Vertreter des Scheichs die Hand geschüttelt – um danach an die WM nach Katar zu reisen.

Diese Nähe ist brisanter denn je: Katar gilt als einer der wichtigsten Geldgeber der islamistischen Hamas. Was bei den Treffen im Detail besprochen wurde, bleibt aber ungewiss. «Ihr Zugangsgesuch muss aufgrund keines vorhandenen amtlichen Dokuments (...) abgelehnt werden», so die Antwort des Finanzdepartements (EFD). Die Treffen seien «nicht protokolliert» worden.

Ist das Öffentlichkeitsgesetz selbst das Problem?

Laut EFD gibt es dazu lediglich eine «Informationsnotiz» an den Bundesrat und eine Pressemitteilung. «Die anderen Dokumente des Treffens, die sich im Besitz des EFD und des WBF befinden, sind nicht fertig gestellte Dokumente», teilen die Behörden mit – im Wissen, dass «nicht fertig gestellte» Schriftstücke vom Öffentlichkeitsgesetz ausgenommen sind.

Für den Historiker Zala steht fest: «Von einem Treffen mit einem ausländischen Finanzminister wäre früher ohne Frage ein offizielles, sehr detailliertes Protokoll erstellt worden.» Sein Fazit: «Die Bundesverwaltung hat sich in einem Akten-Reduit eingebunkert.»

Je mehr Journalisten gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz Transparenz einforderten, desto zurückhaltender werde die Verwaltung bei der Dokumentierung ihrer Arbeit, so Zala. Er sieht das Öffentlichkeitsgesetz, das im Sinne der Transparenz guten, investigativen Journalismus erleichtern soll, deshalb vermehrt als Gefahr für das Archivierungsgesetz, das seit 1998 gilt. 

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