Tiefere Preise dank Kartell?
Krankenkassen erhalten mehr Macht

Die Krankenkassen sollen bei Tarifverhandlungen mit Spitälern mehr Macht erhalten. Das beschloss der Nationalrat in der zurückliegenden Sondersession. Doch nicht alle Kassen sind glücklich darüber.
Publiziert: 09.05.2021 um 11:25 Uhr
Claude Chatelain

Freie Spital- und Arztwahl – das versprechen Krankenkassen mit ihren Zusatzversicherungen halbprivat und privat. Das Leistungsversprechen hat aber seinen Preis – ein Preis, der von Ärzten und Spitälern weitgehend vorgegeben und mitunter weit entfernt von Gut und Böse ist. Doch die Krankenkassen können nicht anders, als den Preis zu schlucken. Vogel friss oder stirb. Es sei denn, sie wollen ihren Zusatzversicherten kleinlaut erklären, die Leistungen für die Zusatzversicherung nicht vergüten zu können, weil mit dem Spital kein Vertrag abgeschlossen werden konnte.

«Die Versicherungen können es sich folglich kaum leisten, diese Leistungen nicht zu vergüten, ohne einen Reputationsschaden zu erleiden», meint etwa Preisüberwacher Stefan Meierhans. Er nennt dies einen «faktischen Kontrahierungszwang». Nach seiner Beobachtung sind die Zusatzversicherungstarife «vermutungsweise flächendeckend missbräuchlich», wie der dem Branchenportal Medinside erklärte.

Fehlende Kostentransparenz

Die Finanzmarktaufsicht (Finma), die das Geschäft der Krankenzusatzversicherungen zu beaufsichtigen hat, bemängelt schon länger die fehlende Transparenz der Tarifverträge. Zuletzt am 17. Dezember, als sie in einer Medienmitteilung erklärte, dass die fehlende Kostentransparenz insgesamt zu Fehlanreizen führe. Das biete Spielraum für eine zu grosszügige Kostenüberwälzung auf die Krankenversicherer, die wiederum diese Kosten auf Kundinnen und Kunden abwälzten.

Krankenkassen versprechen ihren Kunden bei Spitalkosten-Zusatzversicherungen privat oder halbprivat freie Spital- und Arztwahl.
Foto: keystone-sda.ch
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So hat der Nationalrat in der zurückliegenden Sondersession im Rahmen des Versicherungsauftragsgesetzes (VAG) den Krankenkassen mehr Verhandlungsmacht eingeräumt. Der neue Artikel 31b besagt, dass die Krankenversicherer gegenüber Spitälern gemeinsam verhandeln und Verträge abschliessen können.

Bessere Verhandlungsposition für Krankenkassen

Die-Mitte-Nationalrat Martin Landolt, Vorstandsmitglied der Glarner Krankenversicherung und Mitglied der Groupe de réflexion bei Groupe Mutuel, hatte das Anliegen in die Wirtschaftskommission (WAK) gebracht. Er verspricht sich damit transparente Verträge und letztendlich auch tiefere Prämien.

«Gemeinsam sind wir stark», könnte man resümieren. Denn grundsätzlich verhandelt jeder Krankenversicherer alleine mit den Spitälern über Tarife in der Zusatzversicherung. Dies im Unterschied zur obligatorischen Grundversicherung.

Die Krankenversicherer können sich zwar heute schon zusammenschliessen und bei den Zusatzversicherungen nach Versicherungsvertragsgesetz (VVG) gemeinsam verhandeln. Nur ist das mit Aufwand und vor allem mit erheblichen Rechtsunsicherheiten verbunden. Sie müssten vorher bei der Wettbewerbskommission (Weko) ein sogenanntes Widerspruchsverfahren anstrengen, um nicht gegen das Wettbewerbsrecht zu verstossen.

Die CSS hält deshalb die Stärkung der Verhandlungsmacht der Krankenzusatzversicherer für angezeigt und befürwortet diesen Gesetzesartikel 31b, weil eben die Spitäler wegen des unbedingten Leistungsversprechens oftmals starken Druck ausübten, indem sie die Krankenzusatzversicherer vor die Wahl stellen, die bisherigen Vertragskonditionen zu akzeptieren oder keinen Vertrag zu haben.

Kartell schafft neue Probleme

Freilich muss man wissen, dass gar nicht alle Krankenversicherer so sehr auf diese Verhandlungsmacht erpicht sind. «Das Problem muss an der Wurzel gepackt werden, sagt Manuel Elmiger, Gesundheitsökonom bei Helsana. Das Problem liege nicht an der fehlenden Verhandlungsmacht, sondern im Leistungsversprechen – eben beispielsweise der oben genannten freien Spitalwahl. Um dieses Problem in den Griff zu bekommen, hat Helsana neue Produkte lanciert, bei welchen die freie Spitalwahl nicht mehr garantiert ist.

Wenig Freude an dieser Entwicklung hat auch Felix Schneuwly von Comparis. Nach seiner Einschätzung löst der neue Gesetzesartikel keines der erheblichen Probleme im Zusatzversicherungsbereich. «Man kann einen allfälligen Missbrauch der Marktmacht auf einer Seite nicht mit Kartellen auf der anderen Seite oder gar auf beiden Seiten lösen», erklärt der Krankenkassenspezialist. Kartelle führten mittel- oder langfristig weder zu tieferen Tarifen und Prämien noch zu mehr Innovation.

Spitalkosten-Zusatzversicherung als Auslaufmodell

Helsana erklärt zudem, wenn man davon ausgehe, dass die Krankenversicherer wegen des Leistungsversprechens de facto einem Vertragszwang unterlägen, so ändere sich daran nichts, wenn auf einmal alle Versicherer zusammen mit einem Spital verhandelten. Dies ist auch die Meinung von Reto Egloff, Direktor der KPT.

Ob also dank Artikel 31bVAG die Prämien sinken und die Tarifverträge transparenter werden, ist derzeit nicht klar. Ziemlich klar scheint aber, dass die Spitalkosten-Zusatzversicherungen, wie sie heute daherkommen, kaum eine Zukunft haben. Früher, als Vierer-, Sechser- oder gar Achterschläge die Norm waren, mochte eine Zusatzversicherung halbprivat noch sinnvoll gewesen sein. Doch die heutigen modernen Spitalbauten führen nur noch Zweier- und Einerzimmer. Zudem werden dank des medizinischen Fortschritts mehr und mehr Operationen ambulant durchgeführt, wo die genannten Spitalzusatzversicherungen keinen Zusatznutzen haben.

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