Steht eine Sanierung an?
Wie Mieter gegen Leerkündigungen vorgehen können

Immer öfter werden ganze Siedlungen abgerissen oder totalsaniert. Danach steigen die Mieten. Zurück bleiben die Geschassten – und das hat zum Teil verheerende Folgen.
Publiziert: 19.10.2021 um 17:32 Uhr
Dorothea Vollenweider und Marc Iseli

Jedes Jahr trifft es mehrere Hundert Menschen in der Schweiz. Häufig an urbanen Lagen. Sie wohnen schon seit Jahrzehnten in der gleichen Wohnung. Sie zahlen einen relativ günstigen Mietzins. Dann flattert die Kündigung ins Haus. Totalsanierung. Alle raus.

Basel und Zürich sind Hotspots der Verdrängung in der Deutschschweiz, wie der Mieterverband schreibt. «In den meisten Fällen merken Mieter schon sehr früh, dass die Eigentümer etwas vorhaben», so Walter Angst (60), Sprecher in Zürich. Er rät Betroffenen, sich so früh wie möglich beim Verband zu melden. Am besten, noch bevor das Bauvorhaben ausgearbeitet worden ist.

Wenn es trotzdem zur Kündigung komme, sollten so viele Liegenschaftsmieter wie möglich eine Anfechtung einreichen und mehr Zeit für die Wohnungssuche verlangen, sagt Angst.

Der Umbau ist schon ausgesteckt: Die Mieter dieser Siedlung in Zürich-Witikon müssen raus.
Foto: Reto Schlatter
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Höhere Mieten

Das sieht der Hauseigentümerverband anders. «Bei Altbauten führen ‹Pflästerlimassnahmen› meist nicht zu befriedigenden Resultaten», sagt Sprecherin Monika Sommer. Im Falle einer Totalsanierung wähle der Eigentümer daher den Weg einer Leerkündigung, «dies anerkennt auch die Rechtsprechung als zulässig».

Finanziell lohnt es sich alleweil, Mieter auf die Strasse zu stellen. Das schrieb zuletzt auch die UBS in einer Studie. Beim Sanieren von Mehrfamilienhäusern böten sich aktuell «dank Steuerabzügen, Subventionen und einhergehenden Mietzinserhöhungen in vielen Fällen attraktive Renditen», so die Grossbank.

Der höhere Mietzins ist dabei eines der wichtigsten Argumente. Bestandesmieten sind in der Schweiz durch das Mietrecht geschützt. In einst für Familien erstellten Siedlungen aus den 50er-, 60er- oder 70er-Jahren sind die Mieten häufig moderat und auch für Geringverdiener, AHV-Bezüger oder IV-Rentner bezahlbar, wie das Beispiel von Christina Petermann (78) aus Zürich-Witikon zeigt. Noch weniger hoch sind sie, wo Mieter schon seit Jahrzehnten in ihrer Wohnung leben.

Verlust des Umfelds

Die Lösung für Vermieter: Leerkündigung, Sanierung, Mietzins hochschrauben. Zum Teil hat das aber verheerende Folgen für die Mieter. Der Mieterverband berichtet unter anderem von einer 100-jährigen Frau, die sich das Leben nahm, als klar war, dass sie die Wohnung verlassen müsse. Keine 100 Pferde würden sie ins Heim bringen, soll sie in einem letzten Brief an die «Basler Zeitung» geschrieben haben.

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Diese Stellen sind rund um die Uhr für Menschen in Krisen und für ihr Umfeld da:

Adressen für Menschen, die jemanden durch Suizid verloren haben

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Das sind Extremfälle. Häufiger sind Beispiele, wo ehemalige Mieter bereit waren, einen höheren Mietzins zu zahlen, um im angestammten Quartier zu bleiben. Dafür sparten sie bei anderen Ausgaben. Etwa beim Essen oder bei sozialen Kontakten.

Der Zusammenhang zwischen Gesundheit und stabiler Wohnsituation ist mittlerweile sogar Gegenstand der Forschung. Die Gesundheitsförderung Schweiz hat sich als Ansprechpartner etabliert. «Mit der Wohnung verliert jemand auch ein soziales Umfeld», sagt Vertreterin Cornelia Walser im Magazin des Mieterverbands. «Oft ein tragendes, speziell wenn der Mensch Jahrzehnte am selben Ort gelebt hat.»

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