«Wir sollten nur noch da bauen, wo schon etwas ist»
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Architekt Jacques Herzog:«Wir sollten nur noch da bauen, wo schon etwas ist»

Stararchitekt Jacques Herzog
«Wir sollten nur noch da bauen, wo schon etwas ist»

Architekt Jacques Herzog wird 70, ist aber kein bisschen müde. Ein Gespräch über die Gefahr von zu viel kreativem Freiraum, die Tücken des Homeoffice und sein aktuelles Projekt: die Kirche von Andeer GR.
Publiziert: 22.03.2020 um 11:46 Uhr
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Aktualisiert: 09.08.2020 um 20:06 Uhr
Der renommierte Architekt Jacques Herzog in seinem Büro an der Basler Rheinschanze Anfang März.
Foto: Philippe Rossier
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Interview: Alexandra Fitz

Ein gelochtes Metalltor an der Rheinschanze in Basel. Die Wirkungsstätte von Jacques Herzog (69) und Pierre de Meuron (69). Am Eingang steht ein Desinfektionsmittelspender auf einem Holzsockel. In der Kantine schwatzen Mitdreissiger mit Kafi und Tee, vor der Spüle liegt eine Fussmatte mit der Aufschrift «Keep calm and wash your hands» (Bleiben Sie ruhig und waschen Sie Ihre Hände). Es ist der erste Tag nach den Basler Fasnachtsferien – und das Büro noch voll besetzt. Das weltberühmte Architekturbüro machte in den letzten Wochen Schlagzeilen mit einem neuen Projekt: Herzog & de Meuron plant die erste Autobahnkirche der Schweiz. In Andeer GR. An der A13. Nun warten wir in einem Sitzungszimmer mit Blick auf den Rhein. Mit Blick auf den von den Architekten entworfene Roche-Turm und auf den zweiten, der sich gerade im Bau befindet. Auf der anderen Seite der Novartis Campus. «Das Gebäude haben wir gemacht. Es ist toll geworden», wird Jacques Herzog später sagen. «Später» heisst nach einer Stunde Warten. Jacques Herzog ist eben doch ein Star. Im dunkelgrauen Anzug und in bunten Prada-Sneakers betritt er den Raum und sagt: «Die Hände geben wir uns ja nicht.»

Herr Herzog, Sie bauen gerade eine Kirche. Glauben Sie an Gott?
Jacques Herzog: Ich bin nicht religiös im Sinne von Gläubigkeit und gehe auch nicht regelmässig in die Kirche. Aber ich bin interessiert an Religion und Religionsgeschichte. Kirchen sind bauliche Zeugen dieser über Jahrhunderte sich entfaltenden christlichen Kultur.

Die vielen Kirchen, die es seit Jahrhunderten gibt, bleiben vermehrt leer. Sie bauen eine neue – ausgerechnet an einer Autobahn.
Ich kannte dieses Phänomen der Autobahnkirchen nicht. Offenbar haben Menschen ein Bedürfnis, während längeren Fahrten einen Gebetsraum oder Andachtsraum zu besuchen. Die Leute haben auf dem Weg offensichtlich mehr Zeit, sich dem Geistlichen zu widmen. Früher gehörte der Kirchgang zum Alltag wie Essen und Trinken. Heute ist das nicht mehr so, vielleicht sucht man deshalb auf der Reise einen Moment der Stille.

Wie kann man sich so eine Anfrage vorstellen? Ruft da der Pfarrer an und fragt: Bauen Sie uns eine Kirche?
In diesem Fall kam die Gemeinde auf uns zu. Es ist ja eine Interessensgemeinschaft, zu ihr gehört auch der reformierte Pfarrer von Andeer.

Was war Ihr erster Gedanke?
Wir fanden es sehr spannend. Wir haben noch nie eine Kirche gebaut.

Sie sagten, dass Sie selten so lange an einer Planung waren. Warum?
Es war eine radikal andere Aufgabe. Bei jedem anderen Projekt – Büro, Museum, Wohnhaus – gibt es einen Nutzen. In diesem Fall ist der Nutzen nicht eindeutig, und das eindeutige Programm, das die Architektur wesentlich bestimmt, fällt weg. Es gab hier keine Vorgaben, etwa für einen Altar oder so und so viele Kirchenbänke. Wir haben nicht mal einen konkreten Ort zugewiesen bekommen, es hiess nur innerhalb der Gemeinde Andeer. Auch den Kostenrahmen liess man offen. Deshalb war es von der Bedingung her eher wie ein Kunstwerk – im Ergebnis aber Architektur.

Die Ausgangslage war wie bei einem Künstler?
Ja. Ein Künstler arbeitet so, er hat keine Vorgabe von aussen. Er wacht morgens auf, und keiner sagt ihm: Du musst jetzt das und das machen.

Sie sprechen von seiner Freiheit?
Ja, dieser Freiraum ist eine radikale berufliche Herausforderung. Architekten klagen oft, sie hätten keinen Freiraum – dabei ist Freiraum eigentlich ein Problem. Der Architekt, ja überhaupt der Mensch, vergegenwärtigt zu wenig, dass ihm genau dieser Nicht-Freiraum Halt gibt. Architektur erfordert ständig Ideen und Kreativität. Aber nicht als Neuschöpfung aus dem Nichts wie der Künstler. Bei dieser Kapelle war es aber so. Das ist der Grund, warum ich mit dem Team Monate daran arbeitete und wir alles immer wieder verworfen haben. Wir suchten etwas und wussten zunächst gar nicht was.

Macht ein Architekturbüro mit dem Renommee von Herzog & de Meuron eigentlich noch bei Wettbewerben mit?
Ja, und wir gewannen zuletzt sehr viele. Wir sind motiviert, aber auch vorsichtig, nicht überall aufzutreten, um alles abzugrasen. Für viele jüngere und kleinere Büros sind die Wettbewerbe einziges Mittel, sich zu etablieren. Wir akzeptieren oft Interviewverfahren, wo sich eine Bauherrschaft mit drei bis vier internationalen Büros direkt austauscht. Das Ergebnis ist ressourcensparend.

Wie war das beim Roche-Turm, der da drüben thront, und seinem Zwilling, der gerade am Entstehen ist?
Auch hier entstand die Zusammenarbeit durch direkten Kontakt.

Bei der Elbphilharmonie in Hamburg?
Da kam ein ehemaliger Kommilitone von mir und Pierre, der die verrückte Idee für ein Projekt an diesem Ort hatte, auf uns zu.

Allianz-Arena München?
Wettbewerb. Das Stadion in Peking auch. Das Museum Tate Modern in London auch.

Würden Sie auch etwas Unspektakuläres bauen, etwa eine Schule auf dem Land?
Wie die Autobahnkirche zeigt, ist nicht die Grösse entscheidend. Wir werden an dieser Kapelle nichts verdienen. Für uns ist entscheidend: Was ist es für eine Aufgabe? Ist es etwas, was wir noch nie gemacht haben? Fordert es uns heraus? Wie engagiert und verlässlich sind die Menschen hinter dem Projekt?

Wie wichtig sind Projekte in der Schweiz? Die Bergstation Chäserrugg im Toggenburg ist ja fast schon bodenständig im Vergleich zur Elbphilharmonie.
Alpine Architektur wie die auf dem Chäserrugg oder auf dem Titlis ist sehr spannend. Schwerpunkt bleibt aber die Stadt. Da bauen wir ja vor allem in Basel, aber auch in Zürich: das Kinderspital und nun das Forum-Projekt der Uni. Es ist wichtig, dass eine gewisse Anzahl an Projekten in der Schweiz ist, wir haben unsere Angestellten hier, zahlen Schweizer Löhne und brauchen dazu auch Honorare in Schweizer Franken.

Gibt es etwas, was Sie an der Schweizer Bauweise stört?
Wir äusserten uns zum Thema Landschaft im Pamphlet «Achtung: die Landschaft». Die Schweiz ist so ein unglaublich schönes Land, wir benutzen aber zu viele Landressourcen. Wir dürfen nicht immer noch ein Stück abhacken. Die Landschaft ist bewusster als eigenständiger Raum zu sehen und nicht als Rest, der übrig bleibt, wenn gebaut wird. Wir fordern schon seit Jahren, nur noch da zu bauen, wo schon etwas ist. Urbanität und Verdichtung sind eine Chance, nicht eine lästige Pflichtaufgabe.

Sie meinen mehr in die Höhe bauen?
Ja. Gerade in Basel gibt es viele Projekte, die in die Höhe gehen. Wir müssen das machen, weil Basel das kleinste Territorium hat. Deswegen ist der Trend ausgeprägter als in Genf und Zürich. Wir gestalten die städtebauliche Veränderung in Basel ja mit. Hier macht jedes Projekt eine unmittelbar wahrnehmbare Veränderung. Die grosse Herausforderung ist: Wie finden wir einen Weg, zu verdichten und trotzdem Qualität zu behalten? Man hat eine Zeit lang einfach in die Landschaft rausgebaut, das ist am einfachsten. Wir haben nicht so viel Land zu vergeben wie Frankreich oder Deutschland. Die Schweiz ist kleinräumig, deswegen müssen wir auch sorgfältiger mit dem Boden umgehen. Klar gefällt das nicht allen. Es ist einfacher, stets noch ein Stückchen einzuzonen, als das Vorhandene neu zu denken und zu verdichten.

Sie werden am 19. April 70-jährig und könnten schon seit fünf Jahren in Rente sein. Wie lange machen Sie noch weiter?
Ein selbständiger Architekt hat den Vorteil, dass er bis zum letzten Atemzug an seinen Projekten arbeiten kann. Pierre und ich geben Impulse – gleichzeitig werden wir getragen von den Partnerinnen und jungen Mitarbeitern, die viel machen. Bauprozesse sind zeitintensiv und kompliziert. Weil so viele Menschen involviert sind, gibt es oft «Lämpe». Keiner ist schuld, wenn etwas nicht funktioniert. Das müssen wir zum Glück nicht mehr selber machen, da sind wir privilegiert. Solange Pierre und ich gesund sind, machen wir weiter.

Sind Sie persönlich besorgt wegen des Coronavirus?
Ich werde 70 und gehöre deshalb ja zur Risikogruppe. Ich befolge die Richtlinien. Bin aufmerksam und vorsichtig.

Wie haben Sie die Arbeit im Büro organisiert?
50 Prozent arbeiten im Homeoffice, die Teams wechseln ab. Wir loten alle möglichen digitalen Tools aus, um dezentral zu arbeiten. Das ist ganz interessant, alle lernen. Aber der physische Kontakt ist auf die Dauer nicht zu ersetzen. Finanziell können wir diese Zeit sicher etwas besser überbrücken als Geschäfte, die auf die täglichen Einnahmen und den physischen Austausch angewiesen sind wie die Gastronomie, die Eventbranche und der Fussball.

Wir werden in nächster Zeit vermehrt zu Hause sein, quasi eingesperrt in den eigenen vier Wänden. Das hebt die Wichtigkeit der Architektur in den Vordergrund.
Die eigenen vier Wände und allenfalls ein hübscher Balkon zum Singen und für Turnübungen begrenzen im Moment unsere Welt. Der Mensch ist noch immer ein physisches Wesen und braucht eine konkrete, physische Welt um sich. Zurzeit aber hören und sehen wir die Welt und andere Menschen vor allem durch unsere digitalen Tools. Wer will das länger als notwendig fortsetzen? Jeder freut sich wieder auf Begegnungen im realen physischen Raum, auf den Plätzen, den Strassen und in den Bars der Stadt. Diese Begegnungen zu fördern, ist eine Hauptaufgabe von Architektur.

Der renommierte Planer

Jacques Herzog, 1950 in Basel geboren, lernte Pierre de Meuron (auch 1950 in Basel geboren) schon im Kindergarten kennen. Seither gehen die beiden Seite an Seite. Gymnasium, Studium an der ETH, 1978 gründen sie ihre eigenes Architekturbüro in der Basler Rheinschanze. «Unsere Freundschaft ist so echt, weil sie in der Kindheit gewachsen ist», sagt Jacques Herzog. Neben Basel haben sie mittlerweile fünf weitere Niederlassungen in Berlin, London, New York, Hongkong, Kopenhagen und weltweit fast 500 Mitarbeiter. Der FC-Basel-Fan Jacques Herzog lebt in Basel, ist verheiratet und hat eine Tochter und einen Sohn.

Jacques Herzog, 1950 in Basel geboren, lernte Pierre de Meuron (auch 1950 in Basel geboren) schon im Kindergarten kennen. Seither gehen die beiden Seite an Seite. Gymnasium, Studium an der ETH, 1978 gründen sie ihre eigenes Architekturbüro in der Basler Rheinschanze. «Unsere Freundschaft ist so echt, weil sie in der Kindheit gewachsen ist», sagt Jacques Herzog. Neben Basel haben sie mittlerweile fünf weitere Niederlassungen in Berlin, London, New York, Hongkong, Kopenhagen und weltweit fast 500 Mitarbeiter. Der FC-Basel-Fan Jacques Herzog lebt in Basel, ist verheiratet und hat eine Tochter und einen Sohn.

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