Sind 30'000 Fälle verkraftbar?
Wirtschaft will Durchseuchung riskieren

Arbeitgeberverbandschef Valentin Vogt musste letzte Woche harsche Kritik für seinen Vorschlag einstecken, dass die Wirtschaft 30'000 Covid-Infektionen pro Tag verkraften kann. Economiesuissse und Wirtschaftsverbände stehen hinter dem Vorschlag der Durchseuchung.
Publiziert: 12.04.2021 um 02:43 Uhr
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Aktualisiert: 16.04.2021 um 09:11 Uhr

Die Schweiz könne Corona-Fallzahlen in der Höhe von 20'000 bis 30'000 verkraften. Das sagte am Freitag Valentin Vogt, Präsident des Arbeitgeberverbandes. Wenn die Risikopatienten erst einmal geimpft seien, so Vogt, würden rund Dreiviertel aller Hospitalisierungen wegfallen. Dies, so die brisante Forderung des hohen Wirtschaftsvertreters, öffne den Weg für breitangelegte Lockerungen.

Vogts Aussagen brachten ihm harsche Kritik ein, die bis zu Rücktrittsforderungen reichten. Offenbar handelt es sich bei Vogts brisantem Vorstoss keinesfalls um einen Alleingang. Fast drei Dutzend mächtige Wirtschaftsverbände stärken ihm den Rücken. Die Obergrenze von 30'000 Corona-Fällen pro Tag, mit der die Schweiz leben könnte, dies hat der Arbeitgeberverband in einem Papier zusammen mit Economiesuisse ausgearbeitet.

«Fallzahlen werden immer weniger matchentscheidend»

Wie der «Tages-Anzeiger» berichtet, stehen hinter dem bereits im Februar erarbeiteten Dokument und dem daraus abgeleiteten Öffnungsplan 31 einflussreiche Wirtschaftsgruppierungen. Diese reichen von Branchenvertretungen der Versicherungen und Banken über die Maschinenindustrie bis zur Spitalgruppe Hirslanden.

Valentin Vogt, Präsident des Arbeitgeberverbandes, hat sich mit einem brisanten Vorschlag nicht nur Freunde geschaffen.
Foto: Thomas Meier
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Sobald die Risikogruppen geimpft sind, so lautet die Forderung der Wirtschaftsvertreter, sollen die vom Bund verordneten Schutzmassnahmen nach und nach abgeschafft werden. Die dabei errechnete Belastungsgrenze von bis zu 30'000 Fällen täglich beruhe auf Erfahrungswerten aus der zweiten Welle, wird Rudolf Minsch zitiert, Chefökonom von Economiesuisse.

Die Autoren des Öffnungsplans sind überzeugt, dass diese Grenzwerte erst gar nie erreicht werden. Die Bevölkerung verhalte sich weiterhin vorsichtig und mit der zunehmenden Durchimpfung der Gesellschaft sinke das Ansteckungsrisiko. Sobald alle Risikogruppen durchgeimpft seien, so Minsch, «werden die Fallzahlen immer weniger matchentscheidend». Dies, obwohl der neu in der Schweiz vorherrschende Virustyp B.1.1.7 vermehrt auch jüngere Personen ins Spital bringt, die keine Vorerkrankung haben.

Bei 30'000 Fällen würde das Gesundheitssystem kollabieren

Nach Berichten distanzieren sich jedoch selbst Mitglieder des Arbeitgeberverbandes von dessen Überlegungen. Eine massiv ausgebrochene dritte Welle wieder einzudämmen, heisst es, würde Wirtschaft und Bevölkerung viel härter treffen, als das unkontrollierte Ausbrechen einer dritten Welle mit Augenmass zu verhindern.

Der Durchseuchungsvorschlag der Wirtschaftsvertreter würde zum Kollaps des Gesundheitssystems führen, so eine Analyse der Zeitung. Mit 20'000 Fällen werde die Kapazitätsgrenze wie im Herbst überschritten - mit abgesagten Operationen, stark gefordertem Gesundheitspersonal, Patienten in Gängen und punktuellen Triage-Entscheiden. Bei 30’000 Fällen pro Tag? Dann würde das Gesundheitssystem vollends kollabieren. (kes)


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