Schweizer mitten im Skandal-Prozess um Petrobras
«Ich bin der Sündenbock der brasilianischen Justiz»

Der Schweizer Alex S. sitzt seit Monaten in Brasilien fest, ihm wird Geldwäscherei in mehreren Fällen vorgeworfen. «Ich bin ein Sündenbock», sagt S. im exklusiven Gespräch mit Blick.
Publiziert: 17.08.2018 um 01:12 Uhr
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Aktualisiert: 09.11.2023 um 11:25 Uhr
Fabian Vogt

Ein graues T-Shirt, etwas zu eng für seine kräftige Statur. Kabelbinder halten die Arme hinter dem Rücken zusammen. Der Blick ist nach unten gerichtet. So sah die Weltöffentlichkeit Alex S.* (40), als er im November 2017 von der Bundespolizei Brasiliens abgeführt wurde. Dem selbständigen Vermögensberater wird Geldwäscherei in drei Fällen vorgeworfen, der Prozess hat eben erst begonnen.

Der frühere UBS- und BSI-Banker ist für die brasilianische Justiz eine zentrale Figur im Petrobras-Skandal, der grössten Korruptionsaffäre in diesem korruptionserfahrenen Land. Private Baukonzerne haben für den halbstaatlichen Ölriesen Petrobras – mit einem Jahresumsatz von 150 Milliarden Franken das grösste Unternehmen Brasiliens – jahrelang Aufträge zu überteuerten Preisen ausgeführt und die gewonnenen Mehreinnahmen mit der wirtschaftlichen und politischen Elite des Landes geteilt.

Operation Lava Jato führte zu zig Verfahren

Seit 2014 ermittelt die brasilianische Justiz in der Operação Lava Jato, benannt nach den dortigen Autowaschanlagen. Über tausend Gerichtsverfahren wurden bisher geführt, Hunderte Politiker und Manager sitzen im Gefängnis. Die brasilianische Präsidentin Dilma Rousseff (2011–2016) verlor darob ihr Amt, ihr Vorgänger Luiz Inácio Lula da Silva (2003–2011) wurde festgenommen und zu zwölf Jahren Haft verurteilt. Da mittendrin steckt Alex S., sind die Brasilianer überzeugt.

Doppelbürger Alex S.
Foto: imago/Agencia EFE

Seine Unterschrift drei Jahre vor dem Skandal

Der Grund: Als Angestellter der Bank BSI eröffnete der schweiz-spanische Doppelbürger im Jahr 2011 Konti verschiedener Personen, die seither in den Korruptionssumpf geraten sind. Dass dies drei Jahre vor Lava Jato geschah und S. nur eines von mehreren Rädchen im Bankgetriebe war, ist für die brasilianische Justiz nebensächlich. Sie liess einen Haftbefehl ausstellen, der seine Wirkung entfaltete, als S. im November brasilianischen Boden betrat.

Nachdem der diplomierte Betriebsökonom abgeführt wurde, wurde er der Geldwäscherei in drei Fällen angeklagt und zwei Monate ins Gefängnis von Curitiba gesteckt. Seit Februar ist der Vater eines fünfjährigen Sohnes wieder draussen – unter strengen Auflagen. Zwischen 20 Uhr abends und 6 Uhr morgens darf S. seine Wohnung nicht verlassen, wie er BLICK am Telefon erzählt.

Der Reisepass wurde dem ehemaligen Schweizer Juniorenfussball-Nationalspieler abgenommen, dafür hat er Fussfesseln angelegt bekommen. Psychisch und physisch nimmt S. die Situation laut eigener Aussage extrem mit. Er verlor bereits mehr als 15 Kilo, seine T-Shirts spannen längst nicht mehr. Hinzu kommen finanzielle Schwierigkeiten: S. darf sich keinen Job suchen, hat aber Frau und Kind, die lange in Brasilien mit ihm ausharrten.

Geduld und Groll

«Mir bleibt nichts anderes übrig, als Geduld zu haben», sagt S., der nicht verstehen kann, was ihm hier widerfährt. «Ich war doch nur ein Angestellter, woher hätte ich wissen sollen, was diese Leute nebenbei für Geschäfte tätigen?»

Für ihn ist klar: «Ich bin ein Sündenbock für den Staatsanwalt und den Bundesrichter. Die haben meine Verhaftung medial inszeniert, um zeigen zu können, dass sie auch bei Schweizer Banken durchgreifen. Nun soll ich ihnen Informationen liefern, um Strafnachlass zu bekommen. Dabei habe ich doch überhaupt nichts zu erzählen!»

S. fühlt sich alleine gelassen von der Schweiz, niemand wolle ihn unterstützen. Seine Bank stellt sich stumm, auch die Anfrage von BLICK bleibt unbeantwortet.

«Sie verlangen den Verkauf meines Hauses»

Das Aussendepartement hilft nur bedingt, finanzielle Unterstützung wolle man erst bieten, wenn seine eigenen Mittel erschöpft seien. «Sie verlangen, dass ich zuerst mein Haus in der Schweiz verkaufe. Doch wie soll ich das tun, wenn ich in Brasilien festsitze?» Gegenüber BLICK wollte das EDA keine Stellung nehmen – aus persönlichkeitsrechtlichen Gründen, wie es heisst.

Mit seinen Anwälten versucht S. nun, im Alleingang seinen Namen reinzuwaschen. Weil die ganzen Kontobewegungen in der Schweiz geschehen seien, sei Brasilien überhaupt nicht zuständig, lautet die Verteidigungsstrategie.

Sohn kommt demnächst in Schweizer Kindergarten

Aus Schweizer Sicht hat sich S. bislang nichts zuschulden kommen lassen. Die Bundesanwaltschaft bestätigt auf Nachfrage, derzeit kein Verfahren gegen S. zu führen. Die Finanzmarktaufsicht (Finma) rügte zwar die Bank BSI – die in einem anderen Fall der Geldwäscherei überführt worden ist und mittlerweile in die EFG Bank übergegangen ist – aber der Name S. fiel dabei nicht.

Seine kleine Familie hat Brasilien kürzlich verlassen. Sohn Iker beginnt den Kindergarten in der Schweiz, Ehefrau Vivian begleitet ihn.

So bald wird S. nicht dazustossen. Er erwartet, wie er BLICK sagt, dass sich der Prozess über Monate hinziehen wird. Ob S. danach ein freier Mann ist, entscheidet der Richter in Brasilien.

Petrobras-Skandal

Noch ist das finanzielle Ausmass des Petrobras-Skandals nicht abschätzbar. Bekannt sind bislang Schmiergeldzahlungen von knapp zwei Milliarden Franken. Einen Grossteil davon verfolgte die brasilianische Justiz in die Schweiz zurück. Dabei darf Brasilien auf die Hilfe der Schweizer Bundesanwaltschaft zählen, die betroffene Konti ­einfriert und Tausende Seiten mit Unterlagen nach Brasilienschickt. Die Bundesanwaltschaft hat eine eigene Taskforce eingesetzt und bisher über 40 Schweizer Banken und rund 1000 Bankbeziehungen durchleuchtet. Eine Milliarde Franken wurde bislang blockiert, über 100 Strafverfahren wurden eröffnet, über 50 Rechtshilfe­ersuchen sind in Bearbeitung und Vollzug. Die Finanzmarkt­aufsicht hat gleichzeitig bei rund einem Dutzend Banken Abklärungen geführt und gegen vier ein Verfahren eröffnet. Abgeschlossen sind dafür die Untersuchungen der Bundesanwaltschaft gegen verschiedene brasilianische Firmen. (vog)

Noch ist das finanzielle Ausmass des Petrobras-Skandals nicht abschätzbar. Bekannt sind bislang Schmiergeldzahlungen von knapp zwei Milliarden Franken. Einen Grossteil davon verfolgte die brasilianische Justiz in die Schweiz zurück. Dabei darf Brasilien auf die Hilfe der Schweizer Bundesanwaltschaft zählen, die betroffene Konti ­einfriert und Tausende Seiten mit Unterlagen nach Brasilienschickt. Die Bundesanwaltschaft hat eine eigene Taskforce eingesetzt und bisher über 40 Schweizer Banken und rund 1000 Bankbeziehungen durchleuchtet. Eine Milliarde Franken wurde bislang blockiert, über 100 Strafverfahren wurden eröffnet, über 50 Rechtshilfe­ersuchen sind in Bearbeitung und Vollzug. Die Finanzmarkt­aufsicht hat gleichzeitig bei rund einem Dutzend Banken Abklärungen geführt und gegen vier ein Verfahren eröffnet. Abgeschlossen sind dafür die Untersuchungen der Bundesanwaltschaft gegen verschiedene brasilianische Firmen. (vog)

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