SBB-Chef Andreas Meyer
«Haben uns auf die Zufriedenheit von Kadern konzentriert»

Der tödliche Unfall eines Zugbegleiters macht deutlich: Bei den SBB ist der Graben zwischen Belegschaft und Konzernspitze grösser denn je. Der Hauptverantwortliche dafür: Langzeit-CEO Andreas Meyer (58). Ein Porträt.
Publiziert: 25.08.2019 um 10:29 Uhr
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Aktualisiert: 25.08.2019 um 10:34 Uhr
Die SBB-Konzernleitung erklärt am Freitag, 23. August vor den Medien, welche Massnahmen nach dem tödlichen Unfall vom 4. August ergriffen werden. Dabei gibt es wieder einmal einer dieser Augenblicke, in denen SBB-Chef Andreas Meyer unfreiwillig offenbart, wie er wirklich tickt.
Foto: keystone-sda.ch
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Thomas Schlittler

Es ist wieder einmal einer dieser Augenblicke, in denen SBB-Chef Andreas Meyer (58)unfreiwillig offenbart, wie er wirklich tickt: Am Freitagnachmittag erklärt die Konzernleitung vor den Medien, welche Massnahmen nach dem tödlichen Unfall vom 4. August ergriffen werden.

Ein Journalist fragt, was der Ersatz des ungenügenden Einklemmschutzes kosten werde. Meyer blickt zu seiner Führungscrew, reckt sich und antwortet mit ernster Miene: «Uns interessiert nur die Sicherheit. Über die Kosten haben wir noch gar nicht gesprochen.»

Dumm nur, dass Toni Häne (63), Leiter Personenverkehr, Sekundenbruchteile später zu antworten beginnt: «Das Ganze wird die SBB etwa 20 bis 30 Millionen Franken kosten.» Die Aussage seines Chefs ist als PR-Manöver enttarnt.

Tödlicher Türunfall

Nachdem Anfang August ein SBB-Zugbegleiter wegen einer defekten Türsteuerung tödlich verletzt worden war, reagierte am Freitag das Bundesamt für Verkehr (BAV). Es verpflichtet die SBB, für das sichere Funktionieren der Türen zu sorgen. Zudem muss das Unternehmen die Anzeige im Führerstand zum Schliesszustand der Türen rasch verbessern und mittelfristig die Türsteuerung ersetzen. Seit der Einführung der Sonderkontrolle am 12. August haben die SBB insgesamt 512 Mängel bei 384 kontrollierten Zügen und 1536 Türen entdeckt. Der grosse Teil davon wirke sich nicht auf die Funktion der Türen aus und sei nicht sicherheitsrelevant, sagen die SBB. 66 Mal sei aber beim Einklemmschutz ein Mangel in der Funktionsweise erkannt worden, wobei sieben nicht funktioniert hätten. Alle Mängel würden so schnell wie möglich behoben, heisst es.

Nachdem Anfang August ein SBB-Zugbegleiter wegen einer defekten Türsteuerung tödlich verletzt worden war, reagierte am Freitag das Bundesamt für Verkehr (BAV). Es verpflichtet die SBB, für das sichere Funktionieren der Türen zu sorgen. Zudem muss das Unternehmen die Anzeige im Führerstand zum Schliesszustand der Türen rasch verbessern und mittelfristig die Türsteuerung ersetzen. Seit der Einführung der Sonderkontrolle am 12. August haben die SBB insgesamt 512 Mängel bei 384 kontrollierten Zügen und 1536 Türen entdeckt. Der grosse Teil davon wirke sich nicht auf die Funktion der Türen aus und sei nicht sicherheitsrelevant, sagen die SBB. 66 Mal sei aber beim Einklemmschutz ein Mangel in der Funktionsweise erkannt worden, wobei sieben nicht funktioniert hätten. Alle Mängel würden so schnell wie möglich behoben, heisst es.

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Fast 13 Jahre lang steht Andreas Meyer mittlerweile an der Spitze der SBB. Als er den Posten 2007 übernahm, war Christoph Blocher Bundesrat, Köbi Kuhn Trainer der Schweizer Nati und Marcel Ospel Präsident der UBS. 25 Mitglieder sassen seither im Verwaltungsrat der Bundesbahnen, in der Konzernleitung gingen und kamen 21 Leute. Einzige Konstante war und ist Andreas Meyer. Dennoch zeigt sich dieser Tage: Der Langzeit-CEO ist noch immer nicht bei den SBB angekommen – es wird ihm wohl kaum noch gelingen.

Man deckt sich mit Vorwürfen ein

Der tödliche Unfall von Baden AG ist tragisch. Es gab in der Vergangenheit aber schon ähnliche Ereignisse. Die Trauer um einen verstorbenen Kollegen schweisst die Mitarbeiter eines Unter­nehmens in der Regel zusammen – ob Anzugträger oder Arbeiter. Nicht so bei den SBB. Nicht dieses Mal.

Statt die Krise gemeinsam durchzustehen, deckt man ein­ander mit Vorwürfen ein. Die Gewerkschaft kritisiert, ihre Sicherheitsbedenken würden nicht ernst genommen. Der Konzernchef wirft den Arbeitnehmervertretern vor, sie missbrauchten den Unfall für ihre Zwecke. Der Todesfall offenbart, wie stark sich Basis und Chefetage voneinander entfernt haben.

Die Rolle Meyers dabei ist kaum zu überschätzen. Der gebürtige Basler hat es in all den Jahren nie geschafft, von der einfachen Belegschaft als einer der ihren anerkannt zu werden. Zwar stammt er aus einer Bähnler­familie, zwar jobbte er während des Jura-Studiums als Wagen­reiniger. Und doch wirkt er wie ein Fremdkörper, wenn er seinen schicken SBB-Hauptsitz in Bern-Wankdorf verlässt und strammen Schrittes durch eine Werkhalle oder einen Zug marschiert.

Der Umgang mit Technikern, Putzpersonal oder Zugbegleitern – neu «Kundenbegleiter» – wirkt verkrampft. Meyer möchte beliebt sein. Er versucht verzweifelt, Nähe zu den Büezern aufzubauen.

Aber es klappt nicht. Meyer scheitert immer wieder an sich selbst. Zum Beispiel, weil er so tut, als würde er einen Arbeiter persönlich kennen – und ihn dann beim falschen Namen nennt. Oder weil sein Tonfall schnell militärisch forsch wird, wenn etwas nicht ganz nach seinem Gusto läuft.

Die Bähnler erleben Meyer einfach als Manager

Es nützte auch wenig, dass die Konzernleitung vor eineinhalb Jahren verlauten liess, dass man sich bei den SBB künftig über alle Hierarchiestufen hinweg duzen wolle. Die «NZZ am Sonntag» charakterisierte diesen «plumpen Annäherungsversuch» treffend: «Der Rangierarbeiter fühlt sich CEO Andreas Meyer nicht enger verbunden, weil er mit ihm per Du ist. Ein offenes Ohr für die Anliegen der Mitarbeiter würde Kollegialität und Loyalität viel mehr fördern. Doch hier sind bittere Klagen zu vernehmen.»

Jetzt brodelt es an der SBB- Basis. Viele Bähnler sehen in ihrer Tätigkeit mehr als einfach nur irgendeinen Job. Sie sind stolz auf ihre SBB – zumindest waren sie es einmal. Aus diesem Grund haben sie noch immer Mühe damit, dass ihr Chef die Effizienzsteigerung mehr zu lieben scheint als die Eisenbahn und die Eisenbahner an sich.

Sie erleben Meyer ihrerseits nicht als Bähnler, sondern als Manager, der auch irgendeinen anderen Konzern leiten könnte. Und sie wollen sich nicht damit abfinden, dass sie nun in einem Unternehmen arbeiten, in dem die Digitalisierung wichtiger zu sein scheint als die Herausforderung, einen Zug pünktlich, sicher und zuverlässig von A nach B zu bringen.

Die SBB präsentieren sich gern als moderner Arbeitgeber. Mit der Möglichkeit, im Homeoffice und in Teilzeitarbeit zu wirken, buhlt das Unternehmen um kluge Köpfe, welche die «Mobilität der Zukunft» gestalten sollen.

Für die Privilegierten, die davon profitieren, ist das toll. Doch was ist mit all den fleissigen Händen, welche die Mobilität der Gegenwart ermöglichen? Ihnen sollte Anfang Jahr die Zulage von 1.45 Franken pro Stunde für das Reinigen von Zug-WCs gestrichen werden.

Die Wertschätzung fehlt

SonntagsBlick sprach den Konzernchef nach der Pressekonferenz vom Freitag auf die schlechte Stimmung unter seinen Mitarbeitern an. Meyers Antwort dürfte sich für die Büezer im Betrieb anfühlen wie ein Schlag ins Gesicht: «Unsere jährliche Befragung zeigt, dass die Mitarbeiterzufriedenheit bei den oberen Kaderstufen, die direkt der Konzernleitung unterstellt sind, stark gestiegen und auf hohem Niveau ist. Darauf haben wir uns konzentriert.»

Beim mittleren Kader sei die Zufriedenheit stabil, aber noch nicht gut genug. Auf den unteren Stufen nehme sie dann stark ab. Meyer verspricht: «Darum kümmern wir uns!» Jedes Konzernleitungsmitglied besuche regelmässig Teams an der Basis. «Wir wollen wissen, was nicht richtig bei den Leuten ankommt.»

Dabei liegt es auf der Hand, was bei den Leuten an der Basis nicht ankommt: Aussagen wie diese.

Es ist die fehlende Wertschätzung. Es ist Andreas Meyer selbst.

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